Aberg, Lurich, Jaago – meine Reise nach Tallinn

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

    Mitarbeiter gesucht! Meldet Euch bei Interesse bei unserem Misawa

    Es gibt 1 Antwort in diesem Thema. Der letzte Beitrag () ist von Zar.

    • Aberg, Lurich, Jaago – meine Reise nach Tallinn

      Aberg, Lurich, Jaago – meine Reise nach Tallinn



      Ich hatte lange auf diesen Moment gewartet, als ich Ende Mai diesen Jahres am Flughafen Berlin-Tegel mit gepackten Koffern stand. Jetzt war er endlich gekommen der langersehnte Moment des Abfluges in Richtung der estnischen Hauptstadt Tallinn. Jetzt konnte ich endlich die Grabstelle, das Denkmal des größten und erfolgreichsten Wrestlers aus Estland besuchen: JAAN JAAGO. Nach meiner Ansicht war Jaago damals auch der bedeutendste Ringer der aus Osteuropa stammte. Siebenfacher Weltmeister im griechisch-römischen Stil! Doch zunächst musste ich erst aus der brandburgischen Provinz, wo ich einige Bekannte besuchte, in die Hauptstadt kommen. Nach rund zwei Stunden mit Bus und Bahn erreichten wir Tegel am Nachmittag. Einchecken, Kontrolle, Gepäckaufgabe – das ganze Prozedere eben wie man es am Flughafen kennt. Für mich war es der zweite Flug (nach Edinburgh 2015), für meine Begleitung der Erste. Zwei Mal wöchentlich fliegt Air Baltic direkt von Tegel nach Tallinn. Wir hätten sonst in Riga / Lettland umsteigen müssen.....so ein Direktflug ist natürlich am besten....RIGA....RIGA....da denken Wrestling-Historiker meistens an die großen Turniere im Zirkus Salamonsky mit Alexander Aberg, Georg Lurich und Jan Leskinowitsch. Letzterer war in den 20er und 30er Jahren der Topstar aus Lettland schlechthin. Die Krone Lettlands im professionellen Ringkampf galt es zu verteidigen gegen die Estnische 1925 und 1928 in München. Der Gegner von Leskinowitsch in den Finalkämpfen beider Turniere hieß jedoch JAAN JAAGO, der gerade dabei war zum größten Wrestler im griechisch-römischen Stil in Europa aufzusteigen. In der Nacht zum 01. Juli 1925 besiegte er seinen starken Kontrahenten aus Riga und wurde zum fünften Mal Weltmeister (nach 1914 Odessa, 1915 Moskau, 1915 St. Petersburg und 1924 München). Ende 25 dann der sechste WM Titel in Paris wo er Henri Deglane im Finale besiegte, und 1928 der letzte WM Titel im Münchner Zirkus Krone. Am 06.12.1928 hieß der Gegner im Finale wie sooft Hans Schwarz Senior, der deutsche Topstar. Das Turnier endete mit dem Sieg von JAAN JAAGO. An all das und noch viel mehr dachte ich während dieser Reise nach Tallinn, wo der Ursprung vieler Profi-Ringer lag, die damals in Europa und der Welt aufgetreten sind. Bekanntestes Beispiel ist wohl George Hackenschmidt, dessen Karriere in Tartu und im Tallinn Athletik Club unter der Rige seines ersten Traines Adolf Andruskevits, der Übrigens auch Alexander Aberg, Georg Lurich und Gustav Vain trainierte, begann. Auf einem Bild des Tallinn Athletik Clubs „Alexander Aberg“ von 1907 ist auch ein 20-jähriger Amateurringer abgebildet: JAAGO. Ich fand das Bild in einem Buch über den estnischen Kraftsport, das ich in einem Antiquariat in der Altstadt von Tallinn gefunden habe. Irgendwie ein merkwürdiger Zufall, dass mir genau ein Buch wo Bilder von Jaago, Aberg und Lurich enthalten sind, ausgerechnet in meinem Urlaub begegnet. Es wurde der Urlaub meines Lebens (bisher :D)! Ich plante eine Woche in Tallinn zu bleiben (Hinflug Dienstag, Rückflug ebenfalls an einem Dienstag) ohne dabei auf die Fülle der Sehenswürdigkeiten zu achten. Für Tallinn und Umgebung muss man mindestens eine Woche einplanen....das habe ich nach diesem Urlaub gelernt....:D.......



      Ankunft in Tallinn am späten Nachmittag.....irgendwie hat bisher alles geklappt....rein ins Taxi.....unsere Ferienwohnung, die wir für 7 Tage gebucht hatten, lag genau in der Altstadt unterhalb des Präsidentenpalastes. Eigentlich hat Estland zur Zeit eine Präsidentin, wie ich später während meines Urlaubs noch lernen sollte. Nunne 9.....eine Straße die den Hauptbahnhof mit der Altstadt verbindet.....ich war beeindruckt von der erhaltenen Struktur und Bausubstanz der Altstadt. Auf den drei Stadttouren (grün, blau, rot) wurde es dann auch mehrfach erwähnt: Tallinn hat die größte und besterhaltene Altstadt in Europa. Später, am fünften Tag unser Reise als wir vom Tagesausflug aus Helsinki zurückkamen, konnte man die Silhouette der Altstadt mit all den Kirchen von der Fähre aus bewundern. Ich versuchte den Urlaub mit Kulturhistorie zu verbinden und besuchte alle Kirchen der Stadt. Einen interessanten Kontrast bildet der Unterschied zwischen der Olaikirche mit ihrem mächtigen Kirchturm und der Alexander-Newski-Kathedrale. Olai mit dem einst höchsten Kirchturm der Welt, Newski-Kathedrale mit dem beeindruckenden Altar nach russisch-orthodoxer Glaubensrichtung. Wir kamen zu dem Zeitpunkt in der riesigen Newski Kirchenhalle an, als dort der Gottesdienst begann. Der genaue Reihenfolge unserer Erlebnisse während dieser Woche habe ich vergessen......Was ich jedoch nie mehr vergessen werde war der Besuch der Denkmäler von Aberg, Lurich und Jaago. Zuerst wollte ich das Denkmal von Georg Lurich in der Innenstadt besuchen. Wie sich durch einen Zufall später herausstellte gibt es in Tallinn sogar zwei Denkmäler von ihm. Das erste größere Denkmal befindet sich an einer Mauer eines Sportplatzes. Als wir dort ankamen versperrten jedoch Baugerüste und Zäune den Weg. Das Gebäude gegenüber wurde gerade saniert und ich war schon fast enttäuscht, als meine Begleitung einen grandiosen Einfall hatte: einfach den Bauzaun zur Seite schieben. :D Gesagt getan....es war glücklicherweise ein beweglicher Bauzaun......zu Tage kam dann endlich GEORG LURICH. Mein Gesicht begann zu strahlen als ich es mit meinen eigenen Augen bewundern konnte. Ich war hier.....:D.....und hinter mir das GEORG LURICH Denkmal......ich war an der gleichen Stelle, wo Lurich einst trainierte. Auf dem gleichen Sportplatz neben der gleichen Schule....:D.....ein Wrestling-Historiker bekommt da schon weiche Knie. :D Dass es ein zweites Lurich Denkmal in Tallinn gab, war für mich total unbekannt gewesen. Dann kam der Tag des Zufalls! Wir kamen mit dem Bus von der Jaago Grabstelle und stiegen an der Station „Pirita“ aus (nach dem gleichnamigen Fluss), und gingen am Meer entlang, als plötzlich eine Statur auf einer großen Betonplatte auftauchte. Die eiserne Figur auf der Platte war dem estnischen Weltmeister Georg Lurich gewidmet. Ich streckte die Hände in die Höhe und konnte es kaum fassen! Wir gingen zurück zur Station Pirita und aßen dort noch zu Mittag: SUSHI....na ja nicht so mein Fall, aber für meine Begleitung dafür umso köstlicher. Ich nahm dann doch lieber die Fischsuppe....köstlich! :D



      Es war ein verregneter Tag in Tallinn als wir zum Alexander Aberg Denkmal aufbrachen. Ende Mai/Anfang Juni musste ich halt mit typischem April-Wetter leben, wo es immer wieder einen Wetterumschwung gibt. Da wir an der Küste waren, wehte uns noch ein kräftiger Wind entgegen. Mein Tagesziel hieß komischerweise „Hotel Susi“ :D an der langen St. Petersburg Allee. Ich kannte mich mit dem Tarifsystem der Busse und Bahnen in Tallinn noch nicht aus, und wir hatten auch keine Lust uns durch den Tarif-Dschungel zu schlagen, also gingen wir von der Nunne 9 zu Fuß los. Gott sei Dank mit wetterfester Kleidung, denn die war bitter nötig! :D Später stellte sich heraus, dass die Tarife ganz einfach sind und ich hier in Hannover oder bei der Deutschen Bahn das wirkliche Preiswirrwarr erlebe. Bei unserem Start war Sonnenschein....zwischendurch zog mehrmals heftiger Regen auf und prasselte auf uns nieder.......wir mussten uns stellenweise gut festhalten....Sturmböen....Regen ohne Ende.....witzig, als wir am Hotel Susi ankamen strahlte wieder die Sonne. Ich sagte so: das war Aberg's Sturm, der mir die richtige Richtung wies.....:D Da war sie also nun die mächtige eiserne Statur von Alexander Aberg direkt vor einem Hotel an der St. Petersburg Allee errichtet. Ein mächtiger Kopf mit halben Oberkörper – es war ABERG.....mir war so, als wenn ich träumte......ein Traum ist in Erfüllung gegangen. Nach den vielen Fotos wollten wir den langen Weg nicht zurückgehen, und entschieden uns mit dem Bus zu fahren. Wir hatten allerdings keine Tickets! Ich dachte...na ja beim Fahrer wird es schon Fahrkarten geben......der Bus kam und es gab keine Fahrkarten zu kaufen! Konnte man nur im Kiosk, Online oder im Hbf.....wir fuhren mehrere Stationen schwarz bis uns das schlechte Gewissen einholte.....ich wusste nicht wie hoch Schwarzfahrer in Estland bestraft werden. :D Also bei stürmischem Regen raus (das war die Rache fürs Schwarzfahren) und bei Sonnenschein in der Ferienwohnung angekommen. Na wenn das kein gelungener Ausflug war! :D



      Mein nächstes Ziel für einen Tagesausflug hieß auf estnisch „Metsakalmistu“ was „Waldfriedhof“ bedeutet. Ein riesiger Friedhof weit im Nordosten von Tallinn. Wir nahmen den Bus vom unterirdischen Bahnhof Viru Keskus entlang der beeindruckenden Küste in Richtung Nordosten. Die lange Pirita Straße führt in den Nordosten Tallinns vorbei an mehreren Denkmälern. Irgendwann kam der große Waldfriedhof in Sicht.....ich hatte mir im Vorfeld den genauen Standpunkt von Jaago's Grabstelle rausgesucht, ansonsten hätte ich heute noch dort gesucht...:D Links, rechts, links, wieder links.....dann kam der mächtige weiße Grabstein in Sichtweite. Mir zitterten die Hände vor Aufregung. :D Ich war endlich hier.....ich hatte es geschafft!!! JAAN JAAGO gestorben 1949 in Potsdam in meiner Heimat, begraben in Tallinn, da wo ich jetzt stand. Neben dem Grab lag ein frischer Blumenstrauß. Auch im Jahr 2017 haben die Estländer und speziell die estnischen Amateurringer ihren großen Heros nicht vergessen. Ich legte meine große Blume ebenfalls dazu!!! Ein Zeichen des Dankes und der Erinnerung an JAAN JAAGO!!!



      Der Höhepunkt meines Urlaubs war geschafft und dennoch erlebte ich noch Vieles während meiner Zeit in Tallinn:.....Mittelalterfest......köstliche estnische Küche.....interessanter Abend mit zwei Musikern im historischen Keller eines italienischen Restaurants....Erst hatten wir keinen Appetit auf Pizza, als wir diese dann dort mit Genuss aßen. :D ….Fahrt mit der Bimmelbahn durch die Altstadt....Museumsbesuch......Stöbern in der Altstadt in den vielen Gassen und alten Häusern entlang der Stadtmauer....Aufstieg auf den Turm der Olaikirche...puh das war anstrengend....eine Blumenausstellung war gerade dort Anfang Juni......dann eine Bühne mit typischen Tänzen nach estnischer und wohl (?) auch russischer Tradition.....so viele Souvenirshops habe ich anderenorts noch nie gesehen :D...... deutsche Reisegruppen......Chinesen und Japaner die durch die Stadt stürmten mit ihren Fotoapparaten und Smartphones.....immer gegen die Uhr....japanischer Urlaub in Tallinn dauert höchstens einen Tag. :D Irgendwann hat jeder Urlaub sein Ende erreicht. Der Zeitpunkt der Abreise war gekommen und wir mussten schweren Herzens unsere schöne Ferienwohnung direkt mit Ausblick auf die Olaikirche verlassen. Ab zum Flughafen und das ganze Prozedere wieder von vorne durch machen...warten....einchecken....der beste „Start“ in good old Germany war dann allerdings die Landung in Tegel mit ca. 20 Minuten Verspätung. Hilfe wie schlimm und ein Skandal....so jedenfalls für einen Süddeutschen mit bayrischem Akzent, dem es nicht schnell genug gehen konnte. „Jetzt kriegt der Typ (nicht ich :D) da vorne nicht die Tür auf, ich krieg die Krise....“, brüllte er durchs Flugzeug. Mensch, dachte ich, jetzt biste wieder hier, aber doch heil und gut gelandet. Wenn ich eines auf dieser Reise mitgenommen habe, dann ist es die Gastfreundlichkeit der Esten! Ich schätze ihren respektvollen und guten Umgangston! Man wird sogar auf der Straße von Fremden Esten gegrüßt.....das habe ich hier in Hannover-Kleefeld noch nie erlebt. :D Das Album Tallinn 2017 hatte sich damit für mich geschlossen. Die Erinnerungen an diese Reise werde ich jedoch mein Leben lang behalten!

      euer
      Ronald, Hannover im Juli 2017



      Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von The Crusher ()