13.03.2010, 13:02
Wer diesen Zeitungsartikel gelesen hat, der möge mal bitte seine Meinung dazu posten.
Offenbacher Zeitung von 1957
"Dr. phil. Adolf Kaiser"
Von unserem Pariser Korrespondenten Alfred Lang
"Im Programm des staatlichen französischen Fernsehens ist am Freitagabend eine Sendung vorgesehen, die unter dem nichtssagenden Titel "aktuelle Reportage" läuft. Sie bringt Ausschnitte aus Catch-Kämpfen in Pariser Sporthallen. Denjenigen Kunden, des Fernsehens, denen diese wüsten Prügeleien mißfallen und die keinen Geschmack daran finden, auf dem Fernsehschirm zuzusehen, wie die Catch-Champions aufeinander herumtrampeln, sich an den Haaren reißen und sich gegenseitig aus dem Ring schleudern, wird das Argument entgegengehalten, mit dem alle Radio- und Fernsehdirektoren der Welt die Kritiken ihrer Hörer und Zuschauer erledigen: "Ihnen gefällt das nicht gut. Aber unsere Sendungen sollen allen Kreisen der Bevölkerung gefallen, und der Catch gefällt der Mehrzahl. Also stellen Sie das Gerät ab, wenn Sie keinen Catch sehen wollen." Die franz. Television hat ungefähr eine halbe Million Abonnenten. Erfahrungsgemäß sitzen um jeden Empfänger mindestens vier Personen. Zwei Millionen Menschen bilden das Forum, vor dem etwa alle zwei Wochen der Regierungschef Mollet auftritt und auch der Dr. phil. Adolf Kaiser. Er ist gewiß nicht der Doktor der Philosophie und heißt auch nicht Adolf Kaiser. Er wird mit diesem für Franzosen doppelt unsympathischen Namen und dem akademischen Titel vorgestellt. Den fünfhundert oder tausend Liebhabern des Catch die ihre Eintrittskarte in Paris bezahlen, und den zwei Millionen Franzosen, die vor ihrem Bildschirm sitzen. "Der deutsche Catchmeister Adolf Kaiser, genannt der Würger, Doktor der Philosophie". Der Mann kann vielleicht gar kein Wort Deutsch, er ist etwas abstoßender als die Muskelpakete, die sonst den edlen Sport des Catch ausüben, hat ein noch etwas tiererischeres Gesicht und sieht aus wie der Lustmörder in amerikanischen Filmen fünfter Kategorie, in denen er in der letzten Szene von einem edelmütigen G-Man mit einem Colt zur Strecke gebracht wird. Als Partner dieses, wie im gesprochenen Kommentar eifrig wiederholt, germanischen Prachtmenschen wird stets sorgsam ein gut kontrastierender, nett und sportlich aussehender junger Mann gewählt, dem die angenehme Aufgabe zufällt, sich von dem angeblichen Adolf Kaiser in mehreren Runden demolieren zu lassen und schließlich unter dem grausamen Würgegriff der Catch-Germanen, wenn auch nicht völlig entseelt, so doch ohnmächtig auf die Bretter zu sinken und in feierlichem Zuge von den Angestellten der Sporthalle aus dem Saal getragen zu werden.
Das Publikum gerät während dieses, vermutlich in allen Einzelheiten vorher gut einstudierten Kampfes völlig außer Rand und Band. "Sale Boche", "Schlagt den Nazi tot!" sind noch gemäßigte Ausrufe einer hysterischen Menge, deren Wut nicht nur von den sogenannten Kampfrichtern, sondern auch von dem Kommentator der staatlichen Fernsehgesellschaft immer wieder dadurch gestachelt wird, daß man Namen, Titel und Nationalität des Schlägers wiederholend unterstreicht. Und wenn Sie mich fragen, sind sie auch noch zu lasch. Diesem Theater im Ring muß mal ordentlich die Meinung gegeigt werden. Wie die Hostessen springen sie auf ihren Gegnern rum, die wie ausgelutschte Gummipuppen wirken. Da fällt selbst mir die Kinnlade runter. Wegen meiner sollen sie ihn totschlagen. Man bekommt es ja mit der Angst zu tun bei diesen Kämpfen. Sie strotzen nur so vor Brutalität. Ja selbst die Nazis wären da in den Zelten schwach geworden. Vermutlich hätten sie sich selbst noch im Publikum die Kugel gegeben. Wenn sie diesen Mist gesehen hätten. Wenn die "aktuelle Reportage" vorüber ist und das charmante Gesicht der Ansagerin wieder auf dem Schirm erscheint, atmen zwei Millionen Menschen, darunter sicher ein Drittel Kinder, erlöst auf und sagen zueinander, was dieser Boche Adolf Kaiser doch für ein namenloses Schwein sei. Die Erwachsenen hören am nächsten Tag Monsieur Mollet über die deutsch-franz. Freundschaft begeisterte Sätze sagen. Die Leute werden in den Schulen über die neue europäische Epoche der franz. Geschichte von wohlgesinnten Lehrern aufgeklärt, aber der Adolf Kaiser, deutscher Doktor der Philosophie, der wohl sich ein armes Luder, aber weder Adolf Kaiser noch Deutscher Doktor ist, spukt in allen Köpfen bis zum nächsten Freitag, an dem fünfhunderttausend Geräte angedreht werden, um zwei Millionen Menschen das deutsche Gruseln zu lehren.
Mir scheint sehr fraglich, ob die gescheiten und versöhnlichen Reden und Aufsätze der geistigen Elite Frankreichs, ob alle Bemühungen um ein verbessertes Verständis mit dem deutschen Nachbar ein so breites und dankbares Publikum finden wie die Catchsendungen des Fernsehens. Joseph Goebbels hätte, propagandistisch die Versöhnung zu unterwühlen, nicht raffinierter vorgehen können. Die "Radiodiffusion et Télévision Francaise" unterhält auf der einen Seite eine Abteilung für deutschsprachige Sendungen, die nebenbei gesagt einen Haufen Geld kosten und von niemand abgehört werden, um die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich zu festigen, und auf der anderen Seite gibt sie Bildsendungen, die in der ekelhaftesten Weise zu deutschfeindlichen Kundgebungen gemacht werden können, ohne daß einer der zahlreichen Verantwortlichen bisher einen Finger gerührt hätte. Ja ich rede vom Catch. Jener deutschfeindlichen Kundgebung in den Zelten. Biersaufende Kolosse schlagen um sich als hätten sie nichts besseres zu tun. Was für eine Witzveranstaltung. Die Intellektuellen schauen sich ja auch die Catch-Kämpfe nicht an. Das überlassen sie dem Volk aus den unteren Schichten. Und lassen es mithilfe eines falschen deutschen Doktors der Philosophie zweimal im Monat vergiften. Dann verfassen sie begeisterte Artikel über Volksversöhnung, die allerdings wiederum von den Leuten, die sich Catch-Kämpfe ansehen, nicht gelesen werden. Und so kommt es, das bei den Catch Veranstaltungen fast nur minder intelligente Menschen sitzen. Sie können Fiktion von Realtität nicht unterscheiden. Was soll man auch von einem Penner erwarten, der eine Mark locker macht, nur um diese Freistilkämpfe zu sehen. Ich habe das Pariser Außenministerium und die Fernsehgesellschaft auf diese merkwürdige Sendung aufmerksam gemacht. Wenn schon die Aufreizung zum Völkerhaß gesetzlich nicht belangt werden kann, so soll sie wenigstens nicht mit Staatsgeldern honoriert werden. Und Catch ist nun wirklich völkerfeindlich."
Offenbacher Zeitung von 1957
"Dr. phil. Adolf Kaiser"
Von unserem Pariser Korrespondenten Alfred Lang
"Im Programm des staatlichen französischen Fernsehens ist am Freitagabend eine Sendung vorgesehen, die unter dem nichtssagenden Titel "aktuelle Reportage" läuft. Sie bringt Ausschnitte aus Catch-Kämpfen in Pariser Sporthallen. Denjenigen Kunden, des Fernsehens, denen diese wüsten Prügeleien mißfallen und die keinen Geschmack daran finden, auf dem Fernsehschirm zuzusehen, wie die Catch-Champions aufeinander herumtrampeln, sich an den Haaren reißen und sich gegenseitig aus dem Ring schleudern, wird das Argument entgegengehalten, mit dem alle Radio- und Fernsehdirektoren der Welt die Kritiken ihrer Hörer und Zuschauer erledigen: "Ihnen gefällt das nicht gut. Aber unsere Sendungen sollen allen Kreisen der Bevölkerung gefallen, und der Catch gefällt der Mehrzahl. Also stellen Sie das Gerät ab, wenn Sie keinen Catch sehen wollen." Die franz. Television hat ungefähr eine halbe Million Abonnenten. Erfahrungsgemäß sitzen um jeden Empfänger mindestens vier Personen. Zwei Millionen Menschen bilden das Forum, vor dem etwa alle zwei Wochen der Regierungschef Mollet auftritt und auch der Dr. phil. Adolf Kaiser. Er ist gewiß nicht der Doktor der Philosophie und heißt auch nicht Adolf Kaiser. Er wird mit diesem für Franzosen doppelt unsympathischen Namen und dem akademischen Titel vorgestellt. Den fünfhundert oder tausend Liebhabern des Catch die ihre Eintrittskarte in Paris bezahlen, und den zwei Millionen Franzosen, die vor ihrem Bildschirm sitzen. "Der deutsche Catchmeister Adolf Kaiser, genannt der Würger, Doktor der Philosophie". Der Mann kann vielleicht gar kein Wort Deutsch, er ist etwas abstoßender als die Muskelpakete, die sonst den edlen Sport des Catch ausüben, hat ein noch etwas tiererischeres Gesicht und sieht aus wie der Lustmörder in amerikanischen Filmen fünfter Kategorie, in denen er in der letzten Szene von einem edelmütigen G-Man mit einem Colt zur Strecke gebracht wird. Als Partner dieses, wie im gesprochenen Kommentar eifrig wiederholt, germanischen Prachtmenschen wird stets sorgsam ein gut kontrastierender, nett und sportlich aussehender junger Mann gewählt, dem die angenehme Aufgabe zufällt, sich von dem angeblichen Adolf Kaiser in mehreren Runden demolieren zu lassen und schließlich unter dem grausamen Würgegriff der Catch-Germanen, wenn auch nicht völlig entseelt, so doch ohnmächtig auf die Bretter zu sinken und in feierlichem Zuge von den Angestellten der Sporthalle aus dem Saal getragen zu werden.
Das Publikum gerät während dieses, vermutlich in allen Einzelheiten vorher gut einstudierten Kampfes völlig außer Rand und Band. "Sale Boche", "Schlagt den Nazi tot!" sind noch gemäßigte Ausrufe einer hysterischen Menge, deren Wut nicht nur von den sogenannten Kampfrichtern, sondern auch von dem Kommentator der staatlichen Fernsehgesellschaft immer wieder dadurch gestachelt wird, daß man Namen, Titel und Nationalität des Schlägers wiederholend unterstreicht. Und wenn Sie mich fragen, sind sie auch noch zu lasch. Diesem Theater im Ring muß mal ordentlich die Meinung gegeigt werden. Wie die Hostessen springen sie auf ihren Gegnern rum, die wie ausgelutschte Gummipuppen wirken. Da fällt selbst mir die Kinnlade runter. Wegen meiner sollen sie ihn totschlagen. Man bekommt es ja mit der Angst zu tun bei diesen Kämpfen. Sie strotzen nur so vor Brutalität. Ja selbst die Nazis wären da in den Zelten schwach geworden. Vermutlich hätten sie sich selbst noch im Publikum die Kugel gegeben. Wenn sie diesen Mist gesehen hätten. Wenn die "aktuelle Reportage" vorüber ist und das charmante Gesicht der Ansagerin wieder auf dem Schirm erscheint, atmen zwei Millionen Menschen, darunter sicher ein Drittel Kinder, erlöst auf und sagen zueinander, was dieser Boche Adolf Kaiser doch für ein namenloses Schwein sei. Die Erwachsenen hören am nächsten Tag Monsieur Mollet über die deutsch-franz. Freundschaft begeisterte Sätze sagen. Die Leute werden in den Schulen über die neue europäische Epoche der franz. Geschichte von wohlgesinnten Lehrern aufgeklärt, aber der Adolf Kaiser, deutscher Doktor der Philosophie, der wohl sich ein armes Luder, aber weder Adolf Kaiser noch Deutscher Doktor ist, spukt in allen Köpfen bis zum nächsten Freitag, an dem fünfhunderttausend Geräte angedreht werden, um zwei Millionen Menschen das deutsche Gruseln zu lehren.
Mir scheint sehr fraglich, ob die gescheiten und versöhnlichen Reden und Aufsätze der geistigen Elite Frankreichs, ob alle Bemühungen um ein verbessertes Verständis mit dem deutschen Nachbar ein so breites und dankbares Publikum finden wie die Catchsendungen des Fernsehens. Joseph Goebbels hätte, propagandistisch die Versöhnung zu unterwühlen, nicht raffinierter vorgehen können. Die "Radiodiffusion et Télévision Francaise" unterhält auf der einen Seite eine Abteilung für deutschsprachige Sendungen, die nebenbei gesagt einen Haufen Geld kosten und von niemand abgehört werden, um die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich zu festigen, und auf der anderen Seite gibt sie Bildsendungen, die in der ekelhaftesten Weise zu deutschfeindlichen Kundgebungen gemacht werden können, ohne daß einer der zahlreichen Verantwortlichen bisher einen Finger gerührt hätte. Ja ich rede vom Catch. Jener deutschfeindlichen Kundgebung in den Zelten. Biersaufende Kolosse schlagen um sich als hätten sie nichts besseres zu tun. Was für eine Witzveranstaltung. Die Intellektuellen schauen sich ja auch die Catch-Kämpfe nicht an. Das überlassen sie dem Volk aus den unteren Schichten. Und lassen es mithilfe eines falschen deutschen Doktors der Philosophie zweimal im Monat vergiften. Dann verfassen sie begeisterte Artikel über Volksversöhnung, die allerdings wiederum von den Leuten, die sich Catch-Kämpfe ansehen, nicht gelesen werden. Und so kommt es, das bei den Catch Veranstaltungen fast nur minder intelligente Menschen sitzen. Sie können Fiktion von Realtität nicht unterscheiden. Was soll man auch von einem Penner erwarten, der eine Mark locker macht, nur um diese Freistilkämpfe zu sehen. Ich habe das Pariser Außenministerium und die Fernsehgesellschaft auf diese merkwürdige Sendung aufmerksam gemacht. Wenn schon die Aufreizung zum Völkerhaß gesetzlich nicht belangt werden kann, so soll sie wenigstens nicht mit Staatsgeldern honoriert werden. Und Catch ist nun wirklich völkerfeindlich."
