17.03.2010, 16:38
Teil 5
"KÜNSTLERNAMEN"
"Auf der Witzseite einer Illustrierten habe ich einmal ein Bild gesehen, das den Nagel auf den Kopf getroffen hat: eine Artistengruppe unter dem Namen der "25 Brüder Romanov" baute auf der Bühne eine Pyramide. Der Untermann hält allein alle 24 Artisten mit den Armen, Beinen und dem Körper fre in der Luft. Darauf eine Stimme aus dem Publikum:"Schiebung! Das sind ja gar keine Brüder..."- Auch beim Ringen sind sogenannte Künstlernamen durchaus gebräuchlich, ohne deshalb auf die Leistung des Trägers irgendwelchen Einfluß zu haben. Ein Ringer, der in Wirklichkeit Krzcmrsky heißt, wird sich aus begreiflichen Gründen lieber Siegfried Kraft nennen. Erfährt dies vielleicht ein findiger Reporter durch den Hotelportier, ist auch schon die Schlagzeile von der Schiebung fertig. Dabei übertrifft auch hier der Zufall manchmal die geschickteste Regie des Veranstalters. Ein Aufsehen erregender Fall soll das illustrieren.
Vor einigen Jahren war am Wiener Heumarkt ein großes Turnier der Halb-und Schwergewichte im Gange. Eines Tages spazierte ein asiatisch aussehender junger Mann, der höchstens 75kg wiegen konnte, in das Büro des Veranstalters. "Ich mitringen", radebrechte er. Der Veranstalter lachte ihn aus und erklärte ihm, mit diesem Gewicht wäre er höchstens als zahlender Zuschauer zu verwenden. Dann schob er ihn sanft aus dem Büro. Drei Tage lang - denn drei Tage hindurch versuchte sich der schlitzäugige junge Mann, soweit es sein spärlicher Wortschatz erlaubte, mit dem Veranstalter zu verständigen. Umsonst! Am vierten Tag, als sich das erste Paar gerade zum Antreten fertig machte, kam unser junger Mann gleich komplett ausgezogen in die Garderobe des Heumarktes. Schlitzäugig, mit asiatischem Haarschnitt, einen chinesischen Kimono übergeworfen, stellte er sich den Ringern vor: "Ich mitringen!" Daraufhin hallten natürlich die Wände vom Gelächter der schweren Brocken wider. Ob er denn glaube, daß hier ein internationales Knabentreffen oder gar ein Wettstreit im Sackhüpfen ausgetragen würde? Doch seine Beharrlichkeit führte endlich zum Ziel. Am nächsten Tag erhielt der Jüngling seinen ersten Kampf. Zur besseren Verständigung brachte er einen Zettel, auf dem er seinen Namen aufgeschrieben hatte: Bo-Ga-Tshi. Das war alles, was man von ihm wußte.
Der schlechteste Ringer wurde ihm als Gegner gegeben. Ich habe mir den Kampf gar nicht erst angesehen. Der Ausgang konnte doch nicht zweifelhaft sein! Diejenigen von uns, die am meisten gelacht hatten, machten gar bald die längsten Gesichter. Nach zwei Minuten kam Bo-Ga-Tshi schon wieder in die Garderobe zurück - ein unergründlich lächelnder Sieger. Am zweiten Tag sahen wir bereits alle zu. Der Mann war eine Sensation. Im Handumdrehen hatte er elf Kämpfe hintereinander gewonnen und uns durch eine ganz neue Technik verblüfft! Er ließ sich überhaupt nicht anfassen, dafür fielen aber seine Jiu-Jitsu-Schläge wie ein Blitz aus heiterem Himmel auf den Gegner. Nur ganz große Ringer mit jahrelanger Erfahrung hatten damals gegen Bo-Ga-Tshi eine Chance. Als sich zum Schluß herausstellte, daß Bo-Ga-Tshi kein Siamnese, sondern ein Ungar war, war der Skandal fertig.
Warum? Das wußte niemand. Seine Leistung war einmalig. Das Bo-Ga-Tshi nicht sein richtiger Name war, konnte diese nicht schmälern. Das Gerücht, daß sein Können genau wie sein Name Schwindel wären, machte seiner Karriere ein jähes Ende. Mit diesen offenen Zeitungsangriffen verdächtigte man aber nicht nur den Siamnesen aus Ungarn, sondern auch die Veranstalter und sämtliche Ringer des Turniers aus reiner Sensationslust einer Schiebung, was für den Ringsport damals ein schwerer Schlag war. Wie immer waren wir machtlos. Bo-Ga-Tshi hatte mit den Bindestrichen zwischen seinem Namen Bogatschy nicht nur die Turnierleitung, sondern auch die Ringer geblufft. Eine unerhörte psychologische Leistung! Denn wenn wir es auch damals nicht zugeben wollten, wir hatten alle immer ein ganz eigenartiges Gefühl, wenn wir gegen diesen Mann im Ring standen. Sein Aufputz, seine fremdländischen Gesichtszüge machten den Mann im Verein mit den unerhört raschen Handkantenschlägen zum unüberwindlichen Gegner. So lange, bis er seine erste Niederlage bekam. Dann war es mit ihm vorbei. Sein Nimbus und seine Anonymität waren dahin.
Und wieder rauschte es durch den Blätterwald. Natürlich nur im "Interesse" der Leser. Die Auflage einer einzigen Wiener Zeitung stieg in dieser Woche gleich um 30%. Merkwürdigerweise hatte man vierzehn Tage vorher, obwohl doch täglich 10.000 Besucher auf den Heumarkt gekommen waren, für die Ringer und den Star Bo-Ga-Tshi nicht eine einzige Zeile übrig gehabt. Jetzt war es natürlich anders. Man konnte endlich wieder eine Schiebung konstruieren!"
Fortsetzung morgen...
"KÜNSTLERNAMEN"
"Auf der Witzseite einer Illustrierten habe ich einmal ein Bild gesehen, das den Nagel auf den Kopf getroffen hat: eine Artistengruppe unter dem Namen der "25 Brüder Romanov" baute auf der Bühne eine Pyramide. Der Untermann hält allein alle 24 Artisten mit den Armen, Beinen und dem Körper fre in der Luft. Darauf eine Stimme aus dem Publikum:"Schiebung! Das sind ja gar keine Brüder..."- Auch beim Ringen sind sogenannte Künstlernamen durchaus gebräuchlich, ohne deshalb auf die Leistung des Trägers irgendwelchen Einfluß zu haben. Ein Ringer, der in Wirklichkeit Krzcmrsky heißt, wird sich aus begreiflichen Gründen lieber Siegfried Kraft nennen. Erfährt dies vielleicht ein findiger Reporter durch den Hotelportier, ist auch schon die Schlagzeile von der Schiebung fertig. Dabei übertrifft auch hier der Zufall manchmal die geschickteste Regie des Veranstalters. Ein Aufsehen erregender Fall soll das illustrieren.
Vor einigen Jahren war am Wiener Heumarkt ein großes Turnier der Halb-und Schwergewichte im Gange. Eines Tages spazierte ein asiatisch aussehender junger Mann, der höchstens 75kg wiegen konnte, in das Büro des Veranstalters. "Ich mitringen", radebrechte er. Der Veranstalter lachte ihn aus und erklärte ihm, mit diesem Gewicht wäre er höchstens als zahlender Zuschauer zu verwenden. Dann schob er ihn sanft aus dem Büro. Drei Tage lang - denn drei Tage hindurch versuchte sich der schlitzäugige junge Mann, soweit es sein spärlicher Wortschatz erlaubte, mit dem Veranstalter zu verständigen. Umsonst! Am vierten Tag, als sich das erste Paar gerade zum Antreten fertig machte, kam unser junger Mann gleich komplett ausgezogen in die Garderobe des Heumarktes. Schlitzäugig, mit asiatischem Haarschnitt, einen chinesischen Kimono übergeworfen, stellte er sich den Ringern vor: "Ich mitringen!" Daraufhin hallten natürlich die Wände vom Gelächter der schweren Brocken wider. Ob er denn glaube, daß hier ein internationales Knabentreffen oder gar ein Wettstreit im Sackhüpfen ausgetragen würde? Doch seine Beharrlichkeit führte endlich zum Ziel. Am nächsten Tag erhielt der Jüngling seinen ersten Kampf. Zur besseren Verständigung brachte er einen Zettel, auf dem er seinen Namen aufgeschrieben hatte: Bo-Ga-Tshi. Das war alles, was man von ihm wußte.
Der schlechteste Ringer wurde ihm als Gegner gegeben. Ich habe mir den Kampf gar nicht erst angesehen. Der Ausgang konnte doch nicht zweifelhaft sein! Diejenigen von uns, die am meisten gelacht hatten, machten gar bald die längsten Gesichter. Nach zwei Minuten kam Bo-Ga-Tshi schon wieder in die Garderobe zurück - ein unergründlich lächelnder Sieger. Am zweiten Tag sahen wir bereits alle zu. Der Mann war eine Sensation. Im Handumdrehen hatte er elf Kämpfe hintereinander gewonnen und uns durch eine ganz neue Technik verblüfft! Er ließ sich überhaupt nicht anfassen, dafür fielen aber seine Jiu-Jitsu-Schläge wie ein Blitz aus heiterem Himmel auf den Gegner. Nur ganz große Ringer mit jahrelanger Erfahrung hatten damals gegen Bo-Ga-Tshi eine Chance. Als sich zum Schluß herausstellte, daß Bo-Ga-Tshi kein Siamnese, sondern ein Ungar war, war der Skandal fertig.
Warum? Das wußte niemand. Seine Leistung war einmalig. Das Bo-Ga-Tshi nicht sein richtiger Name war, konnte diese nicht schmälern. Das Gerücht, daß sein Können genau wie sein Name Schwindel wären, machte seiner Karriere ein jähes Ende. Mit diesen offenen Zeitungsangriffen verdächtigte man aber nicht nur den Siamnesen aus Ungarn, sondern auch die Veranstalter und sämtliche Ringer des Turniers aus reiner Sensationslust einer Schiebung, was für den Ringsport damals ein schwerer Schlag war. Wie immer waren wir machtlos. Bo-Ga-Tshi hatte mit den Bindestrichen zwischen seinem Namen Bogatschy nicht nur die Turnierleitung, sondern auch die Ringer geblufft. Eine unerhörte psychologische Leistung! Denn wenn wir es auch damals nicht zugeben wollten, wir hatten alle immer ein ganz eigenartiges Gefühl, wenn wir gegen diesen Mann im Ring standen. Sein Aufputz, seine fremdländischen Gesichtszüge machten den Mann im Verein mit den unerhört raschen Handkantenschlägen zum unüberwindlichen Gegner. So lange, bis er seine erste Niederlage bekam. Dann war es mit ihm vorbei. Sein Nimbus und seine Anonymität waren dahin.
Und wieder rauschte es durch den Blätterwald. Natürlich nur im "Interesse" der Leser. Die Auflage einer einzigen Wiener Zeitung stieg in dieser Woche gleich um 30%. Merkwürdigerweise hatte man vierzehn Tage vorher, obwohl doch täglich 10.000 Besucher auf den Heumarkt gekommen waren, für die Ringer und den Star Bo-Ga-Tshi nicht eine einzige Zeile übrig gehabt. Jetzt war es natürlich anders. Man konnte endlich wieder eine Schiebung konstruieren!"
Fortsetzung morgen...
