21.03.2010, 16:01
Teil 8
"DAS MÄRCHEN VOM UNMORALISCHEN LEBENSWANDEL"
"Da für den Professional der Körper Kapital bedeutet, muss er sich ständig pflegen und trainieren. Deshalb glauben nur ganz wenige Ringer, sich eine ausschweifende Lebensart leisten zu können. Dieser Raubbau am Körper macht sie allerdings bald vollkommen fertig. Das sind aber sicher nur Ausnahmen. Der heute schon legendäre Meisterringer Fristensky stand mit 60 Jahren noch immer auf der Matte und konnte von den besten technischen Amateurmeistern nicht geworfen werden. Natürlich war er zeit seines Lebens äußerst enthaltsam. Die Zeit, wo der stärkste Ringer der war, der den größten Bauch hatte, ist vorbei. Und das ist gut so, wie Aufzeichnungen über japanische Ringer beweisen. Die Japaner wurden bekanntlich extra gemästet und waren nur sehr einseitige und unbeholfene Kolosse, die in keinem anderen Beruf ihren Mann stellen konnten. Mit 40 Jahren waren sie vollkommen unbeweglich und meist auch schwer krank. Heute versucht jeder Ringer eisern seine Form zu halten, was natürlich nicht leicht ist, wenn man bedenkt, dass wir ständig im Mittelpunkt einer Stadt stehen, wo ja die Verlockung zu langem Aufbleiben und Trinken besonders groß ist.
Auch über die Altersgrenze wäre noch einiges zu sagen. Ich kenne Ringer die erst mit 45 Jahren Meister geworden sind. Auch bei der letzten Olympiade in Helsinki waren die Sieger in den schwereren Gewichtsklassen schon durchwegs an die 40 Jahre. Gerade in diesem Alter ist nämlich der Ringer am ausgeglichensten. Durch andauernde Kämpfe und ständiges Training bleibt man aber als Berufsringer noch viel länger in Form. Beim Boxer ist das allerdings ganz anders. Er wird für seinen Kampf bis auf das äußerste angestrengt und muss auch beim Kampf selbst immer ganz aus sich herausgehen. Nach einigen Jahren ist der Boxer dann natürlich ausgebrannt, weil er eben immer nur für eine bestimmte Gelegenheit künstlich hochgezüchtet wurde. Gäbe es beim Boxen ebenfalls Turniere, die sich über mehrere Wochen erstrecken, wäre es natürlich etwas anderes. Doch zeigt sich auch beim Boxer, dass ein solider Lebenswandel die Altersgrenze hinaufschrauben kann. Joe Walcott ist z.B. heute noch mit 40 Jahren einer der besten Schwergewichtler. Der Hauptgrund für seine anhaltende Form dürfte in Joes geregeltem Familienleben zu suchen sein. Ich glaube kaum, dass Joe, der glücklich verheiratet ist und herzige Kinder hat, für ein ausschweifendes Leben überhaupt Zeit oder Lust hätte. Der Ringer hat es da viel leichter. Er hat nicht jeden Tag, auch wenn er täglich im Ring stehen sollte, einen schweren Gegner, der ihm alles abverlangt. Dieser Fall wird bei einem gut gemanagten Ringer höchstens vier oder fünfmal im Monat eintreten.
Athleten sind Ausnahmemenschen. Man sollte sie deshalb auch aus einer anderen Perspektive betrachten. Wer einige Male über den Ring geschleudert worden ist, nach acht Tagen den Gips von irgendeinem Knochenbruch selbst vom Fuß geschnitten hat, um ja nur wieder schnell genug im Ring zu stehen, der hat vielleicht auch das Recht, sich einmal gut zu unterhalten. Viele Menschen glauben, dass ein Ringer, der von der Natur mit so vielen Muskeln und Kraft beschenkt wurde, wahrscheinlich in puncto Verstand stiefmütterlich bedacht wurde. Dazu kann man nur sagen, Beschränkte gibt es in jedem Beruf, aber gerade bei unserem habe ich bisher noch sehr wenig davon bemerkt. Fast jeder spricht einige fremde Sprachen und viele kommen aus einem Intelligenzberuf zum Ringsport.
Und Karikaturisten, die selbst in puncto Körperbau und Sportfigur ein Witz sind, haben eine besondere Freude daran, uns Ringer als "Fleischpakete", "Muskelprotze" usw. zu betiteln. Ich nehme an, dass diese meist etwas höhnisch ausgedrückte Betitelung, wohl aus dem eigenen Minderwertigkeitsgefühl heraus zum Ausdruck gebracht wird. Ich möchte bei dieser Gelegenheit feststellen: Auch ein Ringer wurde nicht mit seinen Muskeln geboren und es hat sehr viel Schweiß und Arbeit gekostet, bis er für diesen Beruf geeignet und gut genug war. Genau so wie ich annehme, dass ein Zeichner nicht über Nacht erfolgreich sein kann, sich aber annehme, dass so ein Herr in irgendeinem Beruf, wo er zeigen soll, dass er eventuell auch in einem anderen Beruf seinen Mann stellen soll, versagt. Von den großen internationalen Athleten weiß man aber nur zu gut, dass sie auch in einer anderen Lebenslage ihren Mann gestellt haben. Also, so wie uns die Herren Karikaturisten gerne haben wollen, sind wir sicher nicht.
Wenn ich an dieser Stelle eine Anekdote erzähle, dann soll dies nur zeigen, dass wir keineswegs zimperlich sind. Die Geschichte hat den Vorzug, wahr zu sein und spricht weder für noch gegen uns. Aber vielleicht ist in ihr sogar eine kleine Moral verborgen. Wir kommen nämlich nicht alle aus dem Urwald! Nino Equatore, der riesige Italiener aus Meran, brachte eines Tages den Somalineger Ali Ben Abdu nach Europa. Ali kam geradewegs aus Tripolis und wollte bei Nino als 18jähriger in die Geheimnisse des Ringkampfes eingeweiht werden. Equatore war auch der richtige Lehrmeister für den Jungen. Er hatte gerade eine Sportschule in Rosenheim (Bayern) eröffnet. Das Unglück für Ali wollte es nur. dass die Schule mitten im Wald lag. Mit einer ihm angeborenen Dankbarkeit wollte sich der Neger nämlich irgendwie nützlich machen. Equatore schickte seinen Schützling daher eines Tages mit mehreren Briefen nach dem eine Stunde entfernt liegenden Postamt. Ali verlangte sofort nach einem Gewehr, um sich damit, da er ja den Wald nicht anders kannte, vor den wilden Tieren zu schützen. Als man ihn auslachte, machte er sich schleunigst auf den Weg. Übrigens in Zukunft sein liebster Spaziergang. Denn nichts bereitete ihm mehr Vergnügen, als die Tiere zu belauschen. Und Ali begann zu lernen, jetzt hatte er ja endlich Gelegenheit dazu."
Fortsetzung folgt...
"DAS MÄRCHEN VOM UNMORALISCHEN LEBENSWANDEL"
"Da für den Professional der Körper Kapital bedeutet, muss er sich ständig pflegen und trainieren. Deshalb glauben nur ganz wenige Ringer, sich eine ausschweifende Lebensart leisten zu können. Dieser Raubbau am Körper macht sie allerdings bald vollkommen fertig. Das sind aber sicher nur Ausnahmen. Der heute schon legendäre Meisterringer Fristensky stand mit 60 Jahren noch immer auf der Matte und konnte von den besten technischen Amateurmeistern nicht geworfen werden. Natürlich war er zeit seines Lebens äußerst enthaltsam. Die Zeit, wo der stärkste Ringer der war, der den größten Bauch hatte, ist vorbei. Und das ist gut so, wie Aufzeichnungen über japanische Ringer beweisen. Die Japaner wurden bekanntlich extra gemästet und waren nur sehr einseitige und unbeholfene Kolosse, die in keinem anderen Beruf ihren Mann stellen konnten. Mit 40 Jahren waren sie vollkommen unbeweglich und meist auch schwer krank. Heute versucht jeder Ringer eisern seine Form zu halten, was natürlich nicht leicht ist, wenn man bedenkt, dass wir ständig im Mittelpunkt einer Stadt stehen, wo ja die Verlockung zu langem Aufbleiben und Trinken besonders groß ist.
Auch über die Altersgrenze wäre noch einiges zu sagen. Ich kenne Ringer die erst mit 45 Jahren Meister geworden sind. Auch bei der letzten Olympiade in Helsinki waren die Sieger in den schwereren Gewichtsklassen schon durchwegs an die 40 Jahre. Gerade in diesem Alter ist nämlich der Ringer am ausgeglichensten. Durch andauernde Kämpfe und ständiges Training bleibt man aber als Berufsringer noch viel länger in Form. Beim Boxer ist das allerdings ganz anders. Er wird für seinen Kampf bis auf das äußerste angestrengt und muss auch beim Kampf selbst immer ganz aus sich herausgehen. Nach einigen Jahren ist der Boxer dann natürlich ausgebrannt, weil er eben immer nur für eine bestimmte Gelegenheit künstlich hochgezüchtet wurde. Gäbe es beim Boxen ebenfalls Turniere, die sich über mehrere Wochen erstrecken, wäre es natürlich etwas anderes. Doch zeigt sich auch beim Boxer, dass ein solider Lebenswandel die Altersgrenze hinaufschrauben kann. Joe Walcott ist z.B. heute noch mit 40 Jahren einer der besten Schwergewichtler. Der Hauptgrund für seine anhaltende Form dürfte in Joes geregeltem Familienleben zu suchen sein. Ich glaube kaum, dass Joe, der glücklich verheiratet ist und herzige Kinder hat, für ein ausschweifendes Leben überhaupt Zeit oder Lust hätte. Der Ringer hat es da viel leichter. Er hat nicht jeden Tag, auch wenn er täglich im Ring stehen sollte, einen schweren Gegner, der ihm alles abverlangt. Dieser Fall wird bei einem gut gemanagten Ringer höchstens vier oder fünfmal im Monat eintreten.
Athleten sind Ausnahmemenschen. Man sollte sie deshalb auch aus einer anderen Perspektive betrachten. Wer einige Male über den Ring geschleudert worden ist, nach acht Tagen den Gips von irgendeinem Knochenbruch selbst vom Fuß geschnitten hat, um ja nur wieder schnell genug im Ring zu stehen, der hat vielleicht auch das Recht, sich einmal gut zu unterhalten. Viele Menschen glauben, dass ein Ringer, der von der Natur mit so vielen Muskeln und Kraft beschenkt wurde, wahrscheinlich in puncto Verstand stiefmütterlich bedacht wurde. Dazu kann man nur sagen, Beschränkte gibt es in jedem Beruf, aber gerade bei unserem habe ich bisher noch sehr wenig davon bemerkt. Fast jeder spricht einige fremde Sprachen und viele kommen aus einem Intelligenzberuf zum Ringsport.
Und Karikaturisten, die selbst in puncto Körperbau und Sportfigur ein Witz sind, haben eine besondere Freude daran, uns Ringer als "Fleischpakete", "Muskelprotze" usw. zu betiteln. Ich nehme an, dass diese meist etwas höhnisch ausgedrückte Betitelung, wohl aus dem eigenen Minderwertigkeitsgefühl heraus zum Ausdruck gebracht wird. Ich möchte bei dieser Gelegenheit feststellen: Auch ein Ringer wurde nicht mit seinen Muskeln geboren und es hat sehr viel Schweiß und Arbeit gekostet, bis er für diesen Beruf geeignet und gut genug war. Genau so wie ich annehme, dass ein Zeichner nicht über Nacht erfolgreich sein kann, sich aber annehme, dass so ein Herr in irgendeinem Beruf, wo er zeigen soll, dass er eventuell auch in einem anderen Beruf seinen Mann stellen soll, versagt. Von den großen internationalen Athleten weiß man aber nur zu gut, dass sie auch in einer anderen Lebenslage ihren Mann gestellt haben. Also, so wie uns die Herren Karikaturisten gerne haben wollen, sind wir sicher nicht.
Wenn ich an dieser Stelle eine Anekdote erzähle, dann soll dies nur zeigen, dass wir keineswegs zimperlich sind. Die Geschichte hat den Vorzug, wahr zu sein und spricht weder für noch gegen uns. Aber vielleicht ist in ihr sogar eine kleine Moral verborgen. Wir kommen nämlich nicht alle aus dem Urwald! Nino Equatore, der riesige Italiener aus Meran, brachte eines Tages den Somalineger Ali Ben Abdu nach Europa. Ali kam geradewegs aus Tripolis und wollte bei Nino als 18jähriger in die Geheimnisse des Ringkampfes eingeweiht werden. Equatore war auch der richtige Lehrmeister für den Jungen. Er hatte gerade eine Sportschule in Rosenheim (Bayern) eröffnet. Das Unglück für Ali wollte es nur. dass die Schule mitten im Wald lag. Mit einer ihm angeborenen Dankbarkeit wollte sich der Neger nämlich irgendwie nützlich machen. Equatore schickte seinen Schützling daher eines Tages mit mehreren Briefen nach dem eine Stunde entfernt liegenden Postamt. Ali verlangte sofort nach einem Gewehr, um sich damit, da er ja den Wald nicht anders kannte, vor den wilden Tieren zu schützen. Als man ihn auslachte, machte er sich schleunigst auf den Weg. Übrigens in Zukunft sein liebster Spaziergang. Denn nichts bereitete ihm mehr Vergnügen, als die Tiere zu belauschen. Und Ali begann zu lernen, jetzt hatte er ja endlich Gelegenheit dazu."
Fortsetzung folgt...
