10.06.2010, 09:27
Fred Vogel-Lehoff
"Jeder Griff erlaubt!"
"POST", Nr. 46 - 11.11.1953
""Jeder Griff erlaubt" - Das ist der Wahlspruch der Catcher - jener starken und manchmal auch wilden Männer, die sich bald da, bald dort im Ring gegenseitig sachverständig mißhandeln. Es ist ein alter Streit, ob diese Berufsringer in ihren, von Hunderttausenden besuchten Turnieren Sport zeigen oder ein gut einstudiertes Possentheater. Mit dieser Veröffentlichung in der POST dürfte dieser Streit entschieden sein. Denn hier plaudert ein ehemaliger Turnierleiter dieser Branche aus, was die Ringer und ihre Manager bis heute immer als Berufsgeheimnis hüten wollten: erlaubt ist alles, wenn nur der Zuschauer nicht hinter die Tricks kommt.
Ein Zelt irgendwo in einer Großstadt. In der Mitte auf hohem Podium ein Ring, der eigentlich ein Quadrat ist. Dessen Fußboden ist gut gepolstert, und die Seile, die es umspannen, federn. Dazu Stühle und Bänke, möglichst viele Sitzplätze für Zuschauer. Das Zelt hat auch eine Kasse. Dort werden jeden Tag mindestens dreistellige Zahlen eingenommen, die manchen Theaterdirektor vor Neid erblassen lassen. Dazu kann man nur sagen: warum läßt er seine Schauspieler nicht ein ebenso aufregendes Stück mimen, wie es im Zelt allabendlich über die Matte geht? Den Catchern muß man bescheinigen, daß sie ausgezeichnete Schauspieler sind. Sie hören das nicht sehr gern. Sie glauben, es sei vom Standpunkt ihres Geschäfts besser, wenn man sie als hervorragende Sportsleute einstuft. Gerade das kann man nicht. Einigen wir uns: Sie sind gute Artisten, und sie wissen vor allem, wie man eine solche Nummer (bestehend aus 200 Pfund Lebendgewicht, mit Kraft und Mimik gewürzt) immer wieder verkauft. Die Catcher lieben es nicht sonderlich, wenn jemand ihrem Publikum die Illusion nimmt, daß es im Ring mehr Ernst als Spaß gibt. Als Conny Rux aus dem Boxerlager zu den Catchern übertrat, veröffentlichte er Enthüllungen. Darin behauptete er, daß in den Boxringen nicht immer der bessere Mann siege, sondern daß gelegentlich der Sieger schon vor dem Kampf feststehe. Damals, im Dezember 1952, lief in Stuttgart gerade eines der großen Catcherturniere. Mit Conny Rux als Star. Sein Kollege Rudi Saturski war mit den Enthüllungen gar nicht einverstanden. "Ick reiße dir auseinander", sagte er in der Garderobe, "wenn du dat mal bei uns machst."
Im Catcherring gibt es eigentlich nur "Flaschenkämpfe" (so nennt man es im Fachjargon, wenn der Lorbeer schon vor dem Gongschlag verteilt wird). Das bezeugt Fred Vogel-Lehoff, der Vater dieses Tatsachenberichts, der als Mitglied des Internationalen Berufsringerverbandes, als Veranstalter und Turnierleiter jahrelang mehr gesehen hat als der Zuschauer auf dem besten Ringplatz für zehn Mark. (Hoffentlich begegnet er nicht demnächst seinem einstigen Mitarbeiter Rudi Saturski.) Fred Vogel-Lehoff verrät auch genau, wie das gemacht wird. "Kein einziger Kampf ist reell. Jeder ist vorher abgemacht und in seinen Einzelheiten unter den beiden Kontrahenten besprochen." Damit alles klappt, hat jeder Catcher-Zirkus seinen sog. Programmacher. Der geht, eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung, in die Ringergarderoben. Die Veranstaltung muß jeweils etwas über zwei Stunden dauern, und dementsprechend erhalten die einzelnen Paare ihre Kampfzeit vorgeschrieben. Und zum Sieger wird bestimmt, wen das Publikum in der gastgebenden Stadt als Sieger sehen möchte. Aus Spaß wird Ernst, wenn ein Ringer versucht, wider den Stachel zu löken. Der bulgarische Ringerriese Assan probierte es einmal in Wien. Es bekam ihm schlecht. Er unterlag in einem nichtöffentlichen Kampf dem vereinten Ansturm seiner Kollegen in der Garderobe, trotz seiner Riesenkräfte, und da er eigentlich Arzt ist, konnte er anschließend in seiner Wahlheimat Berlin darüber nachdenken, welcher seiner beiden Berufe einträglicher und welcher gefährlicher sein kann. Im Ring durfte er sich nicht mehr sehen lassen. Als er später in Berlin von seinem Zuschauerplatz aus die Catcher herausforderte, ließ ihn der Veranstalter als Störenfried durch die Polizei hinauswerfen.
Gerade bei dieser Weltmeisterschaft 1952 in der Berliner Funkturmhalle gab es abermals eine interne Revolte. Der Catcher Bruno Figur sollte durch Spaltgriff in der zweiten Runde seinen Kampf gegen den Publikumsliebling Bert Assirati verlieren, und die beiden Matadoren waren angehalten, die Sache zuvor gründlich zu proben. Doch dazu kam es nicht. Auch der Spaltgriff verfing nicht. So half Assirati mit einem programmwidrigen Faustschlag, der Figurs Nasenscheidewand zerschlug. Figur ging im ersten Schreck zu Boden und wurde ausgezählt - allerdings in der achten statt in der zehnten Sekunde. Anschließend wurde durch den Lautsprecher bekanntgegeben, daß der Ringer Figur wegen mangelnden Können ausgeschlossen worden sei. Figur braucht der damals entgangenen Weltmeisterschaft übrigens nicht nachzuweinen. Im Jahr 1953 wurde sie in Deutschland wie die Semmeln verkauft. Es gibt nämlich sechs deutsche Berufsringer-Verbände und einen in der Luft hängenden Zentralverband dazu. Alle diese Verbände werden von Präsidenten gelenkt, die zugleich auch Turnierveranstalter sind und die sich dann jeweils selbst die Berechtigung verleihen, eine "Weltmeisterschaft" auszuschreiben. Es regieren: Rudolf Zurth die Internationale Catcher-Union, München, und die Bayrische Berufsringer-Vereinigung, München; Erich Kowalski den Internationalen Berufsringer-Verband, Berlin; Hans Ruch den Deutschen Berufsringer-Verband, Berlin; Konstantin Sandorineas den Württ.-badischen Berufsringer-Verband, Stuttgart; Paul Westergaard-Schmidt den Internationalen Berufsringer-Verband, Hamburg.
Diese Männer sind ständig auf der Suche nach neuen Stars. Wer sich im Boxring schon besondere Popularität holte, ist für sie besonders begehrenswert. Durch ihre Überredungskunst und vor allem auch durch ihre Geldangebote wurden "de Aap" Peter Müller. der boxende Spaßmacher Conny Rux, Berlins verwöhnter Ringliebling und Europameister im Mittelgewicht der Profiboxer, ins andere Lager gelockt. Dem rauflustigen Peter Müller, nahm niemand seinen Spartenwechsel übel. Als Boxer war er erledigt, weil er den Ringrichter Pipow, statt seinen Gegner Stretz k.o. geschlagen hatte. Der technische Leiter des Turniers um eine imaginäre Europameisterschaft in Köln, Fred Vogel-Lehoff, wußte aber, was er mit Müller einkaufte, als er ihm eine Tagesgage von 300 Mark bot: die unglaubliche Popularität, die Müller am Rhein genoß, und sein schauspielerisches Talent, das diesem Clown im Ring seinen fröhlichen Beinamen "der Affe (de Aap)" im mildernden Kölner Dialekt eingetragen hatte. Müller (auch P.M. genannt) wußte die ersten zwölf Kampftage nicht, was mit ihm gespielt wurde und warum er immer gewann. Dabei hatte er nur ein paar Stunden Unterricht in den wichtigsten Catchergriffen erhalten. Aber das hinderte ihn nicht, sich im Glanz seines Ruhmes und seiner Unwiderstehlichkeit selbst gegen stärkste Männer zu sonnen. Die Veranstalter und seine Kollegen waren ebenfalls zufrieden: P.M. spielte ja immer nur sich selbst, spielte sich außerdem großartig, und war damit der Kassenmagnat. Einen Streich spielten die Kollegen ihm aber doch - und er beweist zugleich, daß die starken Männer keine bösen Männer sind, sondern harmlos und mit viel Humor begabt. Dabei wirkte mit als Gegenspieler Catcher Bo-Ga-Tschi aus Siam.
Bo-Ga-Tschi tritt in den Ring nicht ohne die seltsamen Klänge östlicher Musik. Er neigt schweigend und tiefernst den halbrasierten Schädel gen Osten. Sein prächtiger Seidenumhang fällt in würdigen Falten von seinen Schultern. Sein Glaube verbietet ihm jedes unnütze Gespräch. So sieht der Zuschauer diesen Mann, und so sah ihn auch Peter Müller. Dem wollte es aber nicht einleuchten, daß mit einem solchen Kollegen partout nicht zu reden sein sollte. Er begann ein Gespräch und - der Siamese gab Antwort. Allerdings in seiner Urwaldsprache. Es fand sich auch ein Dolmetscher. Zufällig verstand auch der Ringer Crusoe "siameisch". Es gab ein herrliches Pallaver - bis dann die ganze Garderobe dröhnte vom Gelächter der starken Männer. Bo-Ga-Tschi heißt nämlich in Wirklichkeit Ludwig Seestag, stammt aus Wien und hat Siam nie gesehen. Nach dem zwölften Kampf merkte P.M. was um ihn gespielt wurde. Aber das hinderte diesen echten Komödianten nicht, seine Rolle mit Begeisterung und bewußt weiterzuspielen. Mit Bo-Ga-Tschi im Ring gab er Sondervorstellungen, die das Publikum in eine Masse heulender Derwische verwandelte. Mit dem Ruf "Jetzt maach ich dich kapott, du verdammter Schinees", warf er zuletzt seinen Gegner aus dem Ring oder erledigte ihn mit einem "Herzstich" (mit flacher Hand gestreckt in die Herzgrube). Daß Müller siegen mußte, läßt sich auch unschwer an der Gagenhöhe ablesen. Er verdiente damals 300 Mark je Abend. Bo-Ga-Tschi dagegen nimmt nur zwischen 40 und 60 Mark ein."
Wenn ein Manager sein Ensemble zusammenstellt, braucht er zunächst ein paar "Abnormitäten". So etwa Nicolai Zigolinoff, der mit seiner schwarzen Kraushaarmähne aus Bulgarien stammt und in Berlin in ruhigen Zeiten seine Apfelsinenhandlung betreibt. Oder den Rumänen Popescu, der mit gewaltigem Vollbart Staat machen kann. Ein oder zwei Exoten müssen auch dabei sein. Etwa Red Bull, der als "Rothaut" mit riesigem Federschmuck in den Ring steigt. Ein trottelhafter Hünentyp, der aber doch irgendwie Bauernschläue mimt, sorgt für den humorigen Teil. Ein paar Schurken, die unfair, geradezu roh oder auch hinterlistig kämpfen, braucht der Manager, um das Publikum bis zur Weißglut zu erregen; etwa I.K., den Würger vom Wiener Heumarkt, oder den Münchner Raufspezialisten Trinkgeld. Auch die Lokomotive Josef Vavra gehört dazu, wenn man sie nicht gleich in die Klasse der großen Stars rechnen will. Er kann bis zu 250 Mark je Abend verlangen, ebenso wie Hans Schwarz, der einmal Weltmeister der Berufsringer im gr.-röm. Stil war und bei dieser Gelegenheit seine Filmkarriere startete. Der Rest sind Männer, die in der Fachsprache "Faller" oder "Flieger" genannt werden und die die Aufgabe haben, sich aufs Kreuz zu legen oder aufzugeben - zum größeren Ruhm der Kassenmagnaten. Sie müssen sich mit 25 bis 45 Mark je Tag begnügen. Mittlere Ringer, wie der Münchner Ex-Amateur Ehrl, Saturski, Fey oder Crusoe, erhalten 45 bis 60 Mark.
Nur im Theater verdienen sie freilich ihr Geld nicht. Sie müssen schon hart arbeiten, wenn sie einen Zwei-Zentner-Gegner aus dem Ring wuchten. Und gegen hartes Zugreifen dürfen sie auch nicht empfindlich sein. Es gehört eine artistische Geschicklichkeit dazu, immer so zu fallen, daß keine Knochen brechen. Oder ist es vielleicht keine artistische Leistung, wenn der Catcher Miazio oder auch sein Kollege Wannieck sich von ihren Gegnern regelmäßig so aus dem Ring werfen lassen, daß sie mit dem Kopf in einem wassergefüllten Blecheimer landen. Das ist für die Catcher einer von vielen Scherzen. Der schönste und wirkungsvollste aber ist es, wenn der Schiedsrichter in das Handgemenge gerät. Er taucht dann beispielsweise ohne Hemd wieder auf, und jeder der beiden Kampfhähne hat einen Fetzen zwischen seinen Pranken. Oder er wird (und das wird vorher säuberlich geprobt) versehentlich von einem Catcher mit dem Gegner verwechselt und angesprungen. Im Eifer des Kampfes merkt der starke Mann nicht einmal, daß er den Falschen malträtiert, bis er mit vereinten Kräften überwältigt und der sog. Unparteiische für den Abtransport auf einer Tragbahre reif ist. Freilich, nur die wenigsten Ohnmachten sind echt, so wie auch angestrengtes Stöhnen und Schmerzgebrüll zum handwerklichen Klappern gehören. Nur eines gehört nicht dazu, was eigentlich sein müßte, wenn Catchen als Sport gewertet werden will: das Training der Gladiatoren.
Man muß es dem Vater dieses Berichtes, Fred Vogel-Lehoff, glauben, wenn er versichert, noch nie einen Catcher im Training gesehen zu haben. Nur neue Tricks werden ausprobiert. Von einer sportlichen Lebensweise - sagt er - ist bei den meisten Ringern gar keine Rede. Nur einige Catcher wissen wirklich etwas von der Kunst des Ringens mit ihrer Vielzahl an Griffen. Von Ausnahmen abgesehen - wie etwa Ehrl-München - waren sie nie Amateure des Kraftsports. Deswegen geben sich die Catcher auch nicht gerne mit den Amateurringern ab. In der NS-Zeit, als die Obrigkeit auch den Profisport der starken Männer mit tierischem Ernst unter die Lupe nahm, fand einmal ein Vergleichsturnier statt - mit den acht Besten aus jedem Lager. Nur ein Profi gewann: - und das war Hans Struwe, der kurz zuvor Profi geworden war. Fred Vogel-Lehoff weiß dafür auch die Erklärung. "Die Erfahrung hat gelehrt, daß ein guter Amateur noch lange kein guter Berufsringer zu sein braucht. Amateure haben den Fehler, automatisch bei Griffen Widerstand entgegenzusetzen. Ein solcher Kampf würde dem Auge nichts geben und verkrampft wirken. Der verabredete Kampf dagegen ist flüssig; die Gegner können ohne Kraftaufwand alles wagen, weil ja das Ergebnis des Kampfes schon feststeht. Deswegen sind auch die meisten Griffe der Catcher Schaugriffe, die in einem sportlich geführten Kampf gar nicht anwendbar wären. Viele dieser Griffe sind überhaupt nur Atempausen für die Ringer."
Fortsetzungen auf den folgenden Links:
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"Jeder Griff erlaubt!"
"POST", Nr. 46 - 11.11.1953
""Jeder Griff erlaubt" - Das ist der Wahlspruch der Catcher - jener starken und manchmal auch wilden Männer, die sich bald da, bald dort im Ring gegenseitig sachverständig mißhandeln. Es ist ein alter Streit, ob diese Berufsringer in ihren, von Hunderttausenden besuchten Turnieren Sport zeigen oder ein gut einstudiertes Possentheater. Mit dieser Veröffentlichung in der POST dürfte dieser Streit entschieden sein. Denn hier plaudert ein ehemaliger Turnierleiter dieser Branche aus, was die Ringer und ihre Manager bis heute immer als Berufsgeheimnis hüten wollten: erlaubt ist alles, wenn nur der Zuschauer nicht hinter die Tricks kommt.
Ein Zelt irgendwo in einer Großstadt. In der Mitte auf hohem Podium ein Ring, der eigentlich ein Quadrat ist. Dessen Fußboden ist gut gepolstert, und die Seile, die es umspannen, federn. Dazu Stühle und Bänke, möglichst viele Sitzplätze für Zuschauer. Das Zelt hat auch eine Kasse. Dort werden jeden Tag mindestens dreistellige Zahlen eingenommen, die manchen Theaterdirektor vor Neid erblassen lassen. Dazu kann man nur sagen: warum läßt er seine Schauspieler nicht ein ebenso aufregendes Stück mimen, wie es im Zelt allabendlich über die Matte geht? Den Catchern muß man bescheinigen, daß sie ausgezeichnete Schauspieler sind. Sie hören das nicht sehr gern. Sie glauben, es sei vom Standpunkt ihres Geschäfts besser, wenn man sie als hervorragende Sportsleute einstuft. Gerade das kann man nicht. Einigen wir uns: Sie sind gute Artisten, und sie wissen vor allem, wie man eine solche Nummer (bestehend aus 200 Pfund Lebendgewicht, mit Kraft und Mimik gewürzt) immer wieder verkauft. Die Catcher lieben es nicht sonderlich, wenn jemand ihrem Publikum die Illusion nimmt, daß es im Ring mehr Ernst als Spaß gibt. Als Conny Rux aus dem Boxerlager zu den Catchern übertrat, veröffentlichte er Enthüllungen. Darin behauptete er, daß in den Boxringen nicht immer der bessere Mann siege, sondern daß gelegentlich der Sieger schon vor dem Kampf feststehe. Damals, im Dezember 1952, lief in Stuttgart gerade eines der großen Catcherturniere. Mit Conny Rux als Star. Sein Kollege Rudi Saturski war mit den Enthüllungen gar nicht einverstanden. "Ick reiße dir auseinander", sagte er in der Garderobe, "wenn du dat mal bei uns machst."
Im Catcherring gibt es eigentlich nur "Flaschenkämpfe" (so nennt man es im Fachjargon, wenn der Lorbeer schon vor dem Gongschlag verteilt wird). Das bezeugt Fred Vogel-Lehoff, der Vater dieses Tatsachenberichts, der als Mitglied des Internationalen Berufsringerverbandes, als Veranstalter und Turnierleiter jahrelang mehr gesehen hat als der Zuschauer auf dem besten Ringplatz für zehn Mark. (Hoffentlich begegnet er nicht demnächst seinem einstigen Mitarbeiter Rudi Saturski.) Fred Vogel-Lehoff verrät auch genau, wie das gemacht wird. "Kein einziger Kampf ist reell. Jeder ist vorher abgemacht und in seinen Einzelheiten unter den beiden Kontrahenten besprochen." Damit alles klappt, hat jeder Catcher-Zirkus seinen sog. Programmacher. Der geht, eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung, in die Ringergarderoben. Die Veranstaltung muß jeweils etwas über zwei Stunden dauern, und dementsprechend erhalten die einzelnen Paare ihre Kampfzeit vorgeschrieben. Und zum Sieger wird bestimmt, wen das Publikum in der gastgebenden Stadt als Sieger sehen möchte. Aus Spaß wird Ernst, wenn ein Ringer versucht, wider den Stachel zu löken. Der bulgarische Ringerriese Assan probierte es einmal in Wien. Es bekam ihm schlecht. Er unterlag in einem nichtöffentlichen Kampf dem vereinten Ansturm seiner Kollegen in der Garderobe, trotz seiner Riesenkräfte, und da er eigentlich Arzt ist, konnte er anschließend in seiner Wahlheimat Berlin darüber nachdenken, welcher seiner beiden Berufe einträglicher und welcher gefährlicher sein kann. Im Ring durfte er sich nicht mehr sehen lassen. Als er später in Berlin von seinem Zuschauerplatz aus die Catcher herausforderte, ließ ihn der Veranstalter als Störenfried durch die Polizei hinauswerfen.
Gerade bei dieser Weltmeisterschaft 1952 in der Berliner Funkturmhalle gab es abermals eine interne Revolte. Der Catcher Bruno Figur sollte durch Spaltgriff in der zweiten Runde seinen Kampf gegen den Publikumsliebling Bert Assirati verlieren, und die beiden Matadoren waren angehalten, die Sache zuvor gründlich zu proben. Doch dazu kam es nicht. Auch der Spaltgriff verfing nicht. So half Assirati mit einem programmwidrigen Faustschlag, der Figurs Nasenscheidewand zerschlug. Figur ging im ersten Schreck zu Boden und wurde ausgezählt - allerdings in der achten statt in der zehnten Sekunde. Anschließend wurde durch den Lautsprecher bekanntgegeben, daß der Ringer Figur wegen mangelnden Können ausgeschlossen worden sei. Figur braucht der damals entgangenen Weltmeisterschaft übrigens nicht nachzuweinen. Im Jahr 1953 wurde sie in Deutschland wie die Semmeln verkauft. Es gibt nämlich sechs deutsche Berufsringer-Verbände und einen in der Luft hängenden Zentralverband dazu. Alle diese Verbände werden von Präsidenten gelenkt, die zugleich auch Turnierveranstalter sind und die sich dann jeweils selbst die Berechtigung verleihen, eine "Weltmeisterschaft" auszuschreiben. Es regieren: Rudolf Zurth die Internationale Catcher-Union, München, und die Bayrische Berufsringer-Vereinigung, München; Erich Kowalski den Internationalen Berufsringer-Verband, Berlin; Hans Ruch den Deutschen Berufsringer-Verband, Berlin; Konstantin Sandorineas den Württ.-badischen Berufsringer-Verband, Stuttgart; Paul Westergaard-Schmidt den Internationalen Berufsringer-Verband, Hamburg.
Diese Männer sind ständig auf der Suche nach neuen Stars. Wer sich im Boxring schon besondere Popularität holte, ist für sie besonders begehrenswert. Durch ihre Überredungskunst und vor allem auch durch ihre Geldangebote wurden "de Aap" Peter Müller. der boxende Spaßmacher Conny Rux, Berlins verwöhnter Ringliebling und Europameister im Mittelgewicht der Profiboxer, ins andere Lager gelockt. Dem rauflustigen Peter Müller, nahm niemand seinen Spartenwechsel übel. Als Boxer war er erledigt, weil er den Ringrichter Pipow, statt seinen Gegner Stretz k.o. geschlagen hatte. Der technische Leiter des Turniers um eine imaginäre Europameisterschaft in Köln, Fred Vogel-Lehoff, wußte aber, was er mit Müller einkaufte, als er ihm eine Tagesgage von 300 Mark bot: die unglaubliche Popularität, die Müller am Rhein genoß, und sein schauspielerisches Talent, das diesem Clown im Ring seinen fröhlichen Beinamen "der Affe (de Aap)" im mildernden Kölner Dialekt eingetragen hatte. Müller (auch P.M. genannt) wußte die ersten zwölf Kampftage nicht, was mit ihm gespielt wurde und warum er immer gewann. Dabei hatte er nur ein paar Stunden Unterricht in den wichtigsten Catchergriffen erhalten. Aber das hinderte ihn nicht, sich im Glanz seines Ruhmes und seiner Unwiderstehlichkeit selbst gegen stärkste Männer zu sonnen. Die Veranstalter und seine Kollegen waren ebenfalls zufrieden: P.M. spielte ja immer nur sich selbst, spielte sich außerdem großartig, und war damit der Kassenmagnat. Einen Streich spielten die Kollegen ihm aber doch - und er beweist zugleich, daß die starken Männer keine bösen Männer sind, sondern harmlos und mit viel Humor begabt. Dabei wirkte mit als Gegenspieler Catcher Bo-Ga-Tschi aus Siam.
Bo-Ga-Tschi tritt in den Ring nicht ohne die seltsamen Klänge östlicher Musik. Er neigt schweigend und tiefernst den halbrasierten Schädel gen Osten. Sein prächtiger Seidenumhang fällt in würdigen Falten von seinen Schultern. Sein Glaube verbietet ihm jedes unnütze Gespräch. So sieht der Zuschauer diesen Mann, und so sah ihn auch Peter Müller. Dem wollte es aber nicht einleuchten, daß mit einem solchen Kollegen partout nicht zu reden sein sollte. Er begann ein Gespräch und - der Siamese gab Antwort. Allerdings in seiner Urwaldsprache. Es fand sich auch ein Dolmetscher. Zufällig verstand auch der Ringer Crusoe "siameisch". Es gab ein herrliches Pallaver - bis dann die ganze Garderobe dröhnte vom Gelächter der starken Männer. Bo-Ga-Tschi heißt nämlich in Wirklichkeit Ludwig Seestag, stammt aus Wien und hat Siam nie gesehen. Nach dem zwölften Kampf merkte P.M. was um ihn gespielt wurde. Aber das hinderte diesen echten Komödianten nicht, seine Rolle mit Begeisterung und bewußt weiterzuspielen. Mit Bo-Ga-Tschi im Ring gab er Sondervorstellungen, die das Publikum in eine Masse heulender Derwische verwandelte. Mit dem Ruf "Jetzt maach ich dich kapott, du verdammter Schinees", warf er zuletzt seinen Gegner aus dem Ring oder erledigte ihn mit einem "Herzstich" (mit flacher Hand gestreckt in die Herzgrube). Daß Müller siegen mußte, läßt sich auch unschwer an der Gagenhöhe ablesen. Er verdiente damals 300 Mark je Abend. Bo-Ga-Tschi dagegen nimmt nur zwischen 40 und 60 Mark ein."
Wenn ein Manager sein Ensemble zusammenstellt, braucht er zunächst ein paar "Abnormitäten". So etwa Nicolai Zigolinoff, der mit seiner schwarzen Kraushaarmähne aus Bulgarien stammt und in Berlin in ruhigen Zeiten seine Apfelsinenhandlung betreibt. Oder den Rumänen Popescu, der mit gewaltigem Vollbart Staat machen kann. Ein oder zwei Exoten müssen auch dabei sein. Etwa Red Bull, der als "Rothaut" mit riesigem Federschmuck in den Ring steigt. Ein trottelhafter Hünentyp, der aber doch irgendwie Bauernschläue mimt, sorgt für den humorigen Teil. Ein paar Schurken, die unfair, geradezu roh oder auch hinterlistig kämpfen, braucht der Manager, um das Publikum bis zur Weißglut zu erregen; etwa I.K., den Würger vom Wiener Heumarkt, oder den Münchner Raufspezialisten Trinkgeld. Auch die Lokomotive Josef Vavra gehört dazu, wenn man sie nicht gleich in die Klasse der großen Stars rechnen will. Er kann bis zu 250 Mark je Abend verlangen, ebenso wie Hans Schwarz, der einmal Weltmeister der Berufsringer im gr.-röm. Stil war und bei dieser Gelegenheit seine Filmkarriere startete. Der Rest sind Männer, die in der Fachsprache "Faller" oder "Flieger" genannt werden und die die Aufgabe haben, sich aufs Kreuz zu legen oder aufzugeben - zum größeren Ruhm der Kassenmagnaten. Sie müssen sich mit 25 bis 45 Mark je Tag begnügen. Mittlere Ringer, wie der Münchner Ex-Amateur Ehrl, Saturski, Fey oder Crusoe, erhalten 45 bis 60 Mark.
Nur im Theater verdienen sie freilich ihr Geld nicht. Sie müssen schon hart arbeiten, wenn sie einen Zwei-Zentner-Gegner aus dem Ring wuchten. Und gegen hartes Zugreifen dürfen sie auch nicht empfindlich sein. Es gehört eine artistische Geschicklichkeit dazu, immer so zu fallen, daß keine Knochen brechen. Oder ist es vielleicht keine artistische Leistung, wenn der Catcher Miazio oder auch sein Kollege Wannieck sich von ihren Gegnern regelmäßig so aus dem Ring werfen lassen, daß sie mit dem Kopf in einem wassergefüllten Blecheimer landen. Das ist für die Catcher einer von vielen Scherzen. Der schönste und wirkungsvollste aber ist es, wenn der Schiedsrichter in das Handgemenge gerät. Er taucht dann beispielsweise ohne Hemd wieder auf, und jeder der beiden Kampfhähne hat einen Fetzen zwischen seinen Pranken. Oder er wird (und das wird vorher säuberlich geprobt) versehentlich von einem Catcher mit dem Gegner verwechselt und angesprungen. Im Eifer des Kampfes merkt der starke Mann nicht einmal, daß er den Falschen malträtiert, bis er mit vereinten Kräften überwältigt und der sog. Unparteiische für den Abtransport auf einer Tragbahre reif ist. Freilich, nur die wenigsten Ohnmachten sind echt, so wie auch angestrengtes Stöhnen und Schmerzgebrüll zum handwerklichen Klappern gehören. Nur eines gehört nicht dazu, was eigentlich sein müßte, wenn Catchen als Sport gewertet werden will: das Training der Gladiatoren.
Man muß es dem Vater dieses Berichtes, Fred Vogel-Lehoff, glauben, wenn er versichert, noch nie einen Catcher im Training gesehen zu haben. Nur neue Tricks werden ausprobiert. Von einer sportlichen Lebensweise - sagt er - ist bei den meisten Ringern gar keine Rede. Nur einige Catcher wissen wirklich etwas von der Kunst des Ringens mit ihrer Vielzahl an Griffen. Von Ausnahmen abgesehen - wie etwa Ehrl-München - waren sie nie Amateure des Kraftsports. Deswegen geben sich die Catcher auch nicht gerne mit den Amateurringern ab. In der NS-Zeit, als die Obrigkeit auch den Profisport der starken Männer mit tierischem Ernst unter die Lupe nahm, fand einmal ein Vergleichsturnier statt - mit den acht Besten aus jedem Lager. Nur ein Profi gewann: - und das war Hans Struwe, der kurz zuvor Profi geworden war. Fred Vogel-Lehoff weiß dafür auch die Erklärung. "Die Erfahrung hat gelehrt, daß ein guter Amateur noch lange kein guter Berufsringer zu sein braucht. Amateure haben den Fehler, automatisch bei Griffen Widerstand entgegenzusetzen. Ein solcher Kampf würde dem Auge nichts geben und verkrampft wirken. Der verabredete Kampf dagegen ist flüssig; die Gegner können ohne Kraftaufwand alles wagen, weil ja das Ergebnis des Kampfes schon feststeht. Deswegen sind auch die meisten Griffe der Catcher Schaugriffe, die in einem sportlich geführten Kampf gar nicht anwendbar wären. Viele dieser Griffe sind überhaupt nur Atempausen für die Ringer."
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