Hab mich mal wieder einer Biografie gewidmet und zwar der von Sebastian Deisler.
Ich wollte mir das Buch eigentlich so schon holen, da ich immer ein Fan von Deisler war und mich sein Abgang damals, auch wenn er eventuell vorhersehbar war, sehr erschüttert hat. Nach dem Tod von Robert Enke war es für mich dann quasi ein Pflichtkauf. Ich wollte einfach mal etwas ins Seelenleben eines Sportlers mit dieser schwerwiegenden Krankheit schauen, aus Deislers Sicht wissen warum es schlussendlich ( traurigerweise ) so weit kommen konnte.
Das Buch hat mich nicht enttäuscht. Es ist im Gegensatz zu vielen anderen Sportlerbiografien nicht nur oberflächlich, sondern zeigt einem wirklich den Menschen und die tiefen Gedankengänge dieses Menschen. Mir hatte irgendwann mal jemand die Biografie von Stefan Effenberg mitgegeben, der sich in seinem Buch quasi an sich selber aufgeilte. Deislers Bio ist das komplette Gegenteil. Man spürt förmlich, wie in sich gekehrt, wie nachdenklich dieser Junge Mann ist. In dem Buch zieht er auch keine Show ab um sich besser darzustellen. Er will einfach nur seine Ansicht zeigen und einige Dinge klarstellen, auch mal einen Einblick hinter die Kulissen im Fußballerleben geben. Zeigen, dass das Geschäft hart sein kann bzw hart ist und auch Millionen auf dem Konto nicht unbedingt glücklich machen.
Wenn ich immer die Kommentare lese, was Deisler denn will, dass er doch Millionen auf dem Konto hat und dass er mal etwas Dankbarkeit zeigen sollte, gegenüber Fans und dem FC Bayern ...
Das ist schwer, wenn man so getrieben wurde, ein teilweise falsches Spiel gespielt wurde und dann auch noch eine schwerwiegende psychische/seelische, die schon in der Jugend ihren Anfang nahm, vollends ausbricht. Das verstehen einfach zu wenig Leute. Genauso wenig verstehen die Leute, dass diese Querelen nicht gerade dazu beigetragen haben, dass Deislers Status bei den Bayern, also innerhalb der Mannschaft, besser wird. In Deisler wird nur der Abzocker gesehen, der Millionen verdient hat ohne viel dafür getan zu haben. Aber mal ehrlich, für nicht gehaltene Absprachen und Verletzungen kann er herzlich wenig. Diese Verletzungen und das damit schlechte Gewissen sein Millionenverdienst nicht rechtfertigen zu können waren ja 2 der Auslöser, dass Deislers Depressionen stärker wurden.
Verständnis ist das Mindeste, was man da aufbringen sollte. Vor einigen Wochen, als kurz vor der Buchveröffentlichung einige Zeilen des Buches nach außen drangen, waren die Kritiker gleich wieder da. Deisler hat keine Moral, er ist ein Abzocker ... Und dann, einen guten Monat später bringt sich Robert Enke um und die gleichen Leute heucheln Beileid und erzählen davon, wie schwerwiegend Depressionen doch sein können. Sowas ist ekelerregend!
Solche Leute sind Heuchler. Abgesehen davon: Es muss so oft erst etwas schlimmes passieren, bis viele Leute zu einem Umdenken bewegt werden können.
Jetzt auf einmal wird ein Deisler dafür gelobt, dass er damals an die Öffentlichkeit gegangen ist, dass er seine schweren Phasen in einem Buch verarbeitet.
Aber was soll denn die Hetze vor einigen Wochen? Hetze gegen einen Menschen, der trotz allem labil ist. Vielleicht geht es ihm wieder besser, aber solche Attacken können zu neuen Schüben führen. Depressionen sind oftmals erblich bedingt, wie im Falle von Deisler. Da kann man sich nicht aussuchen, ob es einem gut geht oder nicht. Und solche Attacken, teilweise auch von den Medien, tragen sicherlich nicht dazu bei, dass Deisler es leichter haben wird mit beiden Beinen im Leben zu stehen. Menschen wie Deisler nehmen sich solche Dinge zu Herzen, viel zu sehr. Selbst die kleinsten Sachen können große Trauer auslösen, ich weiß das aus eigener Erfahrung. Jeder sollte wissen, wie schwierig es ist, damit umzugehen bzw wie man damit umgehen sollte. Deshalb empfehle ich jedem von euch das Buch, besonders natürlich den Fußballfans.
Manche mögen sich vielleicht fragen, warum er dieses Buch denn geschrieben hat, wenn er den Medien nicht ausgesetzt sein will. Ganz einfach: Das ist seine Art mit der Situation umzugehen, das ist seine Art der Vergangenheitsbewältigung. Er sagt auch, dass er es eigentlich für sich geschrieben hat. Und der Nebeneffekt ist, dass die Menschen vielleicht endlich Verständnis für ihn entwickeln.
Wem das nicht passt, der soll das Buch halt nicht kaufen. Dafür darf man ihn nicht ins schlechte Licht rücken oder beleidigen. Das ist bei einem leicht angreifbaren Menschen, wie Deisler, definitiv der falsche Weg.
Das Buch zu lesen war teilweise schon sehr bedrückend und traurig. Vom Heilsbringer zum "Pflegefall" des deutschen Fußballs. An viele der beschriebenen Situationen kann ich mich noch genau erinnern. Zum Beispiel, wie der Vertrag mit Bayern ans Licht kam und er sich am gleichen Tag schwer verletzte. Danach war er einer gewaltigen Hetzkampagne ausgeliefert, ohne auf dem Platz darauf reagieren zu können. Und selbst sein damaliger Verein ließ ihn in dieser Situation allein. Dies war laut ihm auch die Situation in der es zum endgültigen Bruch zwischen dem Menschen und dem Fußballer Deisler kam. Bereits dort, im Herbst 2001, wurde es ihm verständlicherweise zu viel. 21 Jahre und bereits so viele Verletzungen. Erst Heilsbringer, dann plötzlich Judas. Das ist schwer zu verkraften ...
Ich kann garnicht zählen, wie oft ich mir beim Lesen gedacht hab, wie schade es ist, dass Deutschland so ein Fußballtalent abgegangen ist. Aber an erster Stelle kommt nunmal der Mensch Deisler, nicht der Fußballer. Und dafür muss man Verständnis aufbringen. Ich persönlich hab unheimlichen Respekt vor ihm: Es scheint als hätte er sein Leben in den Griff bekommen, als hätte er die größten Strapazen überstanden. Und zu so einer Entscheidung, wie im Januar 2007, gehört eine Menge Mut. Er hat damit viele Leute, Fußball-Deutschland geschockt, manchen sogar vor den Kopf gestoßen. Im Buch sagt er selber, dass Fußball quasi das einzige war, was er richtig konnte, was er mit Leidenschaft ausgeübt hat. Das hat er aufgegeben um sich selbst zu retten. In so einer Situation auf sich selbst zu hören, nicht auf die Medien, die einen zum Teil erst in diese Situation gebracht haben, und gerade noch rechtzeitig, bevor etwas schlimmeres passiert, die Reißleine zu ziehen um das eigene Leben in den Griff zu bekommen, dazu gehört schon eine Menge Mut.
Ich wünsche Sebastian Deisler weiterhin viel Glück und ein erfülltes Leben, auch ohne den Fußball.