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Die großen Catcher-Skandale
#1
Die großen Catcher-Skandale

Teil 1 - Zeltschlacht und Jugendverbot

In rund 50 Jahren Catch-Geschichte gab es viele glanzvolle Epochen, aber ebenso auch schwierige Zeiten, die manchmal das Ende einer Karriere bedeuten konnten. Von Zeltschlachten in den 50er Jahren über Veranstalter, die sich mit der Kasse aus dem Staub machten, ohne das Programm einzuhalten, bis hin zum Mordverdacht an einem Bremer Gastwirt - wie man sieht, steckt die Geschichte des Catchens voller unrühmlicher Geschichten. wwf4ever.de präsentiert euch an dieser Stelle, als erste Internetseite überhaupt, die genauen Hintergründe. Ältere Catch-Fans werden nun sicherlich in Erinnerungen schwelgen.

Mit dem Beginn des Catchens waren die ersten Skandale natürlich nicht weit entfernt. Sie nahmen solche Ausmaße an, dass sich Polizei, Ordnungsämter und Gerichte schon früh einschalteten. Hannover - die spätere "Welthauptstadt des Catchens" - erlebte so manche Zeltschlachten. 1953 wollte der Veranstalter Albert Rienas ein Turnier austragen, dass den Zugang von Jugendlichen unter 18 Jahren vorsah. Bereits vorher waren den Behörden solche Vorgänge ein Dorn im Auge. Das Ordnungsamt verweigerte Rienas die Austragung, worauf dieser Beschwerde vor Gericht einlegte. In München beschäftigte man sich in Rudolf Zurths Turnieren auch mit dem Zugang von Jugendlichen unter 18 Jahren. Gerichte und Ordnungsämter schickten Kommissionen. Diese kamen zu dem Ergebnis, dass Catch-Turniere auf Jugendliche verrohend wirken. Das Verwaltungsgericht Bremen lehnte Rienas Klage schließlich 1953 ab und erließ ein Jugendverbot für Catch-Turniere.

Im August 1953 erlebte Hannover eine Straßenschlacht vor dem Catcher-Zelt in der Nähe der Christuskirche. Sie sollte weitreichende Folgen haben. Für Anfang August plante Veranstalter Scheffler ein "Weltmeisterschaftsturnier" mit 30 Catchern. Nachdem es wenige Wochen vorher bereits eine Prügelei zwischen Polizisten und Besuchern gab, eskalierte die Situation erneut. Schefflers Turnier wurde zunächst bis zum 08. August genehmigt. Zwei Tage später standen jedoch wieder rund 1000 Besucher vor dem Zelt. Sie hatten ihre Eintrittskarten bezahlt und verlangten sofortigen Einlass. Das Ordnungsamt Hannover verbot die Veranstaltung, da die Genehmigung am 08. August ausgelaufen war. Daraufhin kam es zu einer dreistündigen Straßenschlacht zwischen Besuchern, Catchern und Polizisten. Einer ganzen Polizeihundertschaft gelang es nicht, die wütende Menge zu beruhigen. Die Situation eskalierte: Da die Catch-Fans keinen Einlass fanden, flogen Biergläser und Steine umher. Ein Besucher erlitt schwere Verletzungen durch Messerstiche. Der Polizeipräsident setzte den Wasserwerfer ein. Erst jetzt ließ sich die verfahrene Situation unter Kontrolle bringen.

Scheffler kündigte rechtliche Schritte an. Am nächsten Tag marschierten die wütenden Catcher ins Regierungspräsidium, um eine einstweilige Verfügung vor dem Verwaltungsgericht Hannover zu erwirken. Das Zelt stand immer noch. Die Polizei riegelte aber alle Eingänge ab. Trotz des Verbotes erschienen wieder einige hundert Menschen. Aufgrund des Tumults gab es vermehrt Beschwerden wegen Ruhestörungen. Scheffler begründete die einstweilige Verfügung damit, dass ein Konkurrenzunternehmer seine Turniere offensichtlich verhindern will. Mitte August wollte ein Konkurrent ein zweites Turnier in Hannover starten. Doch das Verbot wurde wegen den Tumulten und Ruhestörungen erlassen. Am 13. August genehmigte das Verwaltungsgericht Hannover Schefflers Turnier. Scheffler kündigte aber an gegen die Stadt Hannover auf Schadensersatz zu klagen.

In den Jahren nach 1953 gab es immer wieder Tumulte. Eine erste Konsequenz daraus zog der Stadtrat Hannover im Oktober 1953. Soweit möglich wurden künftige Catch-Turniere aus dem Stadtinneren verband. 1954 kam es zur Auseinandersetzung zwischen der Stadt Hannover und dem 1951 neu gegründeten "Verband Deutscher Berufsringer (VDB)". Stadtdirektor Karl Wiechert (1899-1971) untersagte das für April 1954 vorgesehene VDB-Turnier unter Veranstalter Fritz Müller. Offiziell ließen die Behörden verlauten, dass die Veranstaltung aus "moralischen Gründen" verboten wurde. Es bestehe eine Gefahr für die Jugend. Außerdem seien die Pfiffe und Beifallsrufe unzumutbarer Lärm. 170 Berufsringer waren vorgesehen für ein ausverkauftes Zelt zu sorgen. Stadtdirektor Wiechert ging noch weiter und erließ ein Verbot für Catch-Turniere im Stadtinneren von Hannover. Man verzichtete wegen des Verbotes der VDB-Veranstaltung auf rund 1200 DM Vergnügungssteuer täglich. Diese Steuer konnte bis zu 20% betragen. Also eigentlich eine gute Einnahmequelle. Traf man die Turniere bisher u.a. auf dem Aegidientorplatz an, rückte nun der Schützenplatz - wo seit den späten 40er Jahren veranstaltet wurde - in den Vordergrund. Der Tumult in Hannover war zwar schon etwas größer als andere in dieser Zeitspanne, aber auch spätere Vorfälle stellten das Catchen negativ ins Rampenlicht.
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#2
Sehr interessant wie immer. Worauf beruhte eigentlich das Jugendverbot? Waren die Veranstaltungen nicht dem Ringen sehr ähnlich?
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#3
Größtenteils beruhte es auf der Zeitspanne. Heute würde man so etwas für einen schlechten Scherz halten. Anfang der 50er Jahre begann der erste Catch-Boom und die Leute mussten sich erst daran gewöhnen. Solche Kämpfe, wie aus Amerika, waren hier noch vollkommen unbekannt. Zudem war selbst das Wort "Wrestling" hier bis vor 30/40 Jahren nicht geläufig. Ein anderer Grund war die Ablehnung seitens des Amateurringerlagers. Diese hatten überhaupt kein Verständnis dafür, was ihre "Kollegen" angeblich so als "Beruf" bezeichneten. Aus diesem Lager kamen daher schon früh Aufforderungen nach einem Verbot. Im Gesamten wurde der Freistil anfangs noch abgelehnt, da ja der gr.-röm. Stil - also das genaue Gegenstück - die Szene bis dato bestimmte.

Ich glaube, dass ich das Urteil vom Verwaltungsgericht Bremen schon mal gepostet habe. Dort steht der Zusammenhang, warum man dem Veranstalter den Zugang von Jugendlichen unter 18 Jahren verweigerte.

Hier sind die Scans bezüglich des Urteils vom Verwaltungsgericht Bremen zum Jugend-Verbot:

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Das die Catch-Veranstaltungen aus dieser Zeit dem Ringen entsprachen, kann man nicht sagen. Es ähnelte doch schon sehr dem amerik. Format des Wrestlings. Absprachen gab es im Catchen seit Anbeginn.
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#4
Interessantes Urteil und ähnlich fair und differenziert wie die Medienkampagne gegen UFC in diesem Jahr Smile
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#5
Vielen Dank dafür.

Am kommenden Wochenende wird Snowder die Reiter bearbeiten und deinen Artikeln auf der Mainpage steht nicht mehr viel im Weg.
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#6
Es sind fast alle Teile fertig. Da ich am 2. Teil (Rux gegen Zurth) noch schreibe, schiebe ich den dritten mal vor.

Teil 3 - Schurl gegen Robertson

"Ringerskandal des Jahres", schrieb eine Wiener Zeitung 1963. Drei Polizeiwagen rasten zum Café "Münzamt", wo es angeblich eine heftige Schlägerei gab. Am Boden lag der verletzte Kanadier Freddy Robertson. Zwischen Tisch und Sessel liegend musste er ins Krankenhaus gebracht werden. Mit insgesamt acht Klammern wurde die Stirnwunde behandelt. Gleichzeitig erstaunt wie fassungslos war man, als Robertson die Schuldigen nannte. Natürlich sei er selbst nicht schuldig. So hätten ihn Georg Blemenschütz, dessen Frau und Ringrichter Marko mit Sessel und Aschenbecher attackiert. Ausgerechnet unser "Schurl" Blemenschütz dachten da viele Catch-Freunde. Schurl war der Ringerheros vom Wiener Heumarkt. Als Catcher und Veranstalter baute er die "Knochenmühle" zum Schauplatz großer Turniere auf. Das ist nur ein Spitzname, den die Zeitungen für die Heumarkt-Veranstaltungen fanden. Wie Hannover so entwickelte sich auch Wien, seit den späten 40er Jahren, zur Catch-Hochburg. Tausende Menschen sahen die teils wochenlangen Sommerturniere. Wien - die Stadt der starken Männer - beherbergte schon vor den Catchern kräftige und weit bekannte Männer. Josef Steinbach, Rudolf Benold, Franz Mileder, Georg Jagendorfer, Josef Grafl, Karl Swoboda oder der Mann mit der Eisenkraft, Wilhelm Türk, bildeten eine lange Reihe von Kraftakrobaten, Berufsringern und Schaustellern, die in Wien ihren Erfolg suchten.

Schurl hingegen kämpfte zwar später, seine Bekanntheit hatte aber die seiner Vorgänger mitunter sogar übertroffen. Jetzt sah sich der beliebte Schurl mit einer Strafanzeige wegen schwerer Körperverletzung konfrontiert. Sein Kritiker Robertson, ein kräftiger Herr aus Kanada, erstattete Strafanzeige gegen Schurl, dessen Frau und Ringrichter Marko. Hinter den Kulissen brodelte es bereits zwischen Robertson und seinem bisherigen Arbeitgeber Schurl Blemenschütz. Vor dieser Prügelei war Robertson Catcher eines Heumarkt-Turniers. Schurl war Matchmaker und kämpfte gerade vor den begeisterten Fans. In der Ringergarderobe der Heumarktarena tuschelte während dessen Robertson herum: "Was der Alte heute wieder aufführt!", nahm jemand zum Anlass, ihn bei Schurl zu verpfeifen. Blemenschütz hatte genug gehört und kündigte kurzerhand den Saisonvertrag mit Robertson. Der Querulant im Catcherlager protestierte aber lauthals. Es kam zum Wortgefecht: Robertson bestand auf Vertragserfüllung, da er für die gesamte Saison abgeschlossen wurde. Er forderte sogar einen Titelkampf, da er besser sei als der bisherige Champion Blemenschütz. Schurl riss sich den Gürtel vom Leib und schrie: "Soll das heißen, dass ich nicht ringen kann?" Er solle sich nicht so aufregen und stattdessen die Herausforderung draußen im Ring ankündigen, forderte Robertson. Doch die Veranstaltungsleitung fand einen Grund um ihn loszuwerden.

Demnach sei Robertson des Diebstahls in der Garderobe überführt worden. Auf eine Anzeige wolle man aber verzichten, wenn er sofort aus Wien verschwindet. Man bot ihm 15.000 Schilling als Abfindung an. Robertson ließ sich jedoch nicht so leicht abwimmeln. Er schaltete seinen Anwalt ein und erstattete Anzeige wegen Erpressung. Die Volksseele zwischen Schurl und Robertson kochte. Nun kam die besagte Prügelei im Café Münzamt. Blemenschütz sei um Mitternacht gekommen und habe ihn dann ohne Grund attackiert, gab Robertson zu Protokoll. Dabei sei er noch tatkräftig durch seine Frau und Ringrichter Marko unterstützt worden. Vor dem Eintreffen der Polizei waren die Beschuldigten in Richtung Stadtpark gelaufen. An diesem Abend konnten sie nicht mehr gestellt werden. Es begann aber eine Welle von Anzeigen, Vorwürfen und Gerichtsverfahren.

Das Wiener Strafbezirksgericht unter Dr. Peter Jann verhandelte den Fall bis 1964. Zur Erpressungsanzeige kam nun die Anzeige wegen schwerer Körperverletzung. Die Geschehnisse wurden durch Robertsons Aussagen zu einseitig gewertet. Wiener Zeitungen schrieben von einer "üblen Affäre" und "blutigen Überfall". Übertreibungen, die durch Robertsons Aussagen noch weiter hoch kochten: "Der Schurl will mich nur loswerden, weil er Angst hat, ich könnte ihn in einem echten Ringkampf, der nicht gestellt ist, besiegen." Robertson behauptete ferner, dass Blemenschütz als Ringer in besonderer Position, Kollegen angreift und kampfunfähig macht. Schurl sah sich durch übertriebene Presseberichte in seiner Ehre verletzt, und schaltete ebenfalls einen Anwalt ein. Im Spätsommer 1963 landeten die ersten Anzeigen bei Gericht. Das Gericht musste nun einerseits die Klagen verhandeln, und andererseits die Kämpfe am Wiener Heumarkt auf ihre "Echtheit" hin überprüfen. Für viele Zeitungen waren Catch-Turniere sowieso nur Scheinringkämpfe. Die allseits bekannte Diskussion um Schiebungen und Absprachen erreichte also auch Österreich.

Im Dezember 1963 schließlich kam eine erste Verhandlung vor dem Wiener Strafbezirksgericht. Die Klägerseite (Blemenschütz) warf einem Wiener Wochenblatt Vortäuschung falscher Tatsachen vor. Die Beklagten nannten eine lange Liste von ehemaligen Catchern, die die Echtheit dieser Turniere anzweifeln sollten. Der Anwalt von Schurl präsentierte ebenfalls eine Liste von aktiven Catchern, die ihr Metier als reell schriftlich bestätigten. Die Überprüfung der behaupteten Echtheit stellte die Justiz jedoch vor ein Problem. Es gab dafür keinen vorgefertigten Gesetzestext, auch Sachverständige fehlten. Ein erster Augenscheintermin brachte kein Ergebnis. Das Gericht setzte einen zweiten Termin fest. Am Ende aber blieb offen, wie denn nun genau das Treiben auf dem Heumarkt zu bewerten sei. Durch Zeugenaussagen wurde die Anwesenheit von Blemenschütz im Café bestätigt. Gegen Zahlung einer Geldbuße stellte man das Verfahren ein. Die schwere Körperverletzung konnte Robertson nicht nachweisen. Für die Heumarkt-Fans indessen war es ein witziger Anblick, wie Sachverständige und Ordnungsbeamte die Echtheit überprüfen wollten. Sie gingen dennoch zu den Turnieren, die trotz dieser Vorwürfe Tausende Menschen anlockten.

Die Wiener Catch-Szene verzeichnete Mitte der 50er Jahre einen Zuschauerrückgang. Erst der deutsche Veranstalter Gustl Kaiser brachte das Catchen am Heumarkt wieder nach oben. Mit dem "Preis der Nationen" (1955) und dem "Großen Preis von Österreich" (1956), gelang Kaiser der Durchbruch in Wien. Blemenschütz führte ab 1957 die Geschäfte weiter. Kaiser, 1907 in Rehau (Oberfranken) geboren, verdrängte beinahe die gesamte Konkurrenz im mitteleuropäischen Raum. Nach den ersten hektischen Jahren, blieb Kaiser bis Mitte der 70er Jahre, der erfolgreichste Veranstalter von "Internationalen Berufsringkampf Turnieren". Rund 12 Millionen Menschen besuchten die IBV-Turniere im Zeitraum von 1946 bis 1976. Kaiser veranstaltete zwar selbst "Catcher-Turniere", nannte seine Ringer aber lieber "Freistil-Berufsringkämpfer". Die Turniere wurden nach den Richtlinien des IBV durchgeführt. Eine Abgrenzung zu anderen Veranstaltern war so unumgänglich. Gustl Kaiser starb 1989.
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#7
Wieder mal sehr interessant. Also wurde Blemenschütz freigesprochen? Könnte das Szenario in dem Cafe gestellt gewesen sein oder war sowas damals noch unüblich?
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#8
An sich wurde Blemenschütz nicht direkt freigesprochen, sondern - wie im Text beschrieben - zu einer Geldbuße verurteilt. Hinter den Kulissen solcher Veranstaltungen konnte es damals schon sehr rauh zugehen. Dort gab es auch Körperverletzungen und Diebstähle. Die Zeitungsartikel machen nicht den Eindruck, dass dieses Szenario gestellt war. Der Begriff des kayfabe ist eine heutige Sichtweise auf manche damalige Ereignisse. Auf Amerika mag das vielleicht zutreffen, aber beim europäischen Berufsringkampf muss man klar eine Grenzlinie ziehen. Selbst frühere Ereignisse aus den USA können nur bedingt als kayfabe abgestuft werden.
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#9
Der 2. Teil wird noch etwas auf sich warten lassen.

Teil 4 - Skandal um Mr. Oddjob

Die Ringkampftumulte der 50er Jahre waren längst vergessen. Das 1953 vom Verwaltungsgericht Bremen erlassene Jugendverbot galt noch partiell bis 1985. Einen größeren Catcher-Skandal erlebten 1965 Heidelberg und Zweibrücken. Schillernde Hauptfigur darin war Harold Sakata, den Fans wohl besser bekannt als "Tosh Togo" oder "Mr. Oddjob" aus dem James Bond-Klassiker "Goldfinger". Ein Programmhinweis von 1965 titelte "Oddgob Togo". Rund 1300 Menschen strömten am Abend des 08.06.1965 in die Heidelberger Stadthalle. Auf dem Programm stand eine im Vorfeld groß angekündigte Catch-Veranstaltung der Pariser Agentur "Ghenassia-Sellet". Man habe den weltberühmten Catcher Harold Sakata für eine Tournee durch Deutschland verpflichten können. Nach Heidelberg kamen an diesem Abend noch Edy Wiecz, Frank Valois, Ludwig Straub, Daniel Nocet, Francis Louis, Pat O'Connor, Cheri Bibi und Pierre Bernart. Aus Sicht einiger Zuschauer verlief die ganze Show von Anfang an merkwürdig. Das Match Valois-Wiecz überzeugte immerhin am meisten. Die Hauptattraktion des Abends, Mr. Oddjob, bekamen die Fans jedoch nicht zu Gesicht. Wie auch, da Sakata für den IBV (Internationaler Berufsringkämpfer Verband Hamburg) - Veranstalter Gustl Kaiser zur gleichen Zeit in Krefeld kämpfte. Der Ringsprecher verkündete kurz vor dem 3. Kampf, Sakata sei irgendwo in Frankreich verunglückt und könne deshalb nicht antreten. Daraufhin riefen 1300 Heidelberger: "Schiebung" und "Geld retour". Ein Pfeifkonzert ertönte in der Stadthalle - und nun lief die Maschinerie an. Zeitungen titelten: "Goldfinger-Killer Oddgob catchte in Krefeld - Heidelbergs Freistil Fans wurden getäuscht - Hauptakteur bei einem anderen Veranstalter unter Vertrag", "Skandal bei den Catchern - Betrug mit dem Star Odd Job" oder "Heidelbergs Catch-Freunde hereingelegt."

Bereits seit dem 26. Mai hingen in Heidelberg viel versprechende Plakate, wonach Sakata gegen Edy Wiecz kämpfen sollte. Auch eine Autogrammstunde wurde versprochen. Hintermänner dieser vermeintlich großen Veranstaltung waren die franz. Manager Ghenassia und Sellet. Eine Freiburger Werbefirma war noch involviert. Nach Aussage des Werbezettels sei Sakata am 08. Juni um 17.00 Uhr exklusiv für Club-Mitglieder in der "Galerie-T" zur Autogrammstunde anwesend. Um 23.00 Uhr sei Sakata im "Sole D'oro" für weitere Autogramme. Presse und Fans warteten allerdings vergebens. Um 18.00 Uhr erschien dann plötzlich Ghenassia vor der versammelten Menge und sagte: "Er ist eben mit einem Flugzeug aus Paris in Basel gelandet. Unser Wagen wird ihn gerade rechtzeitig zu seinem Auftritt herbringen". Man müsse aber die geplante Autogrammstunde absagen. Verständlich, dass die Gesichter bei den Fans lang waren. Die Enttäuschungen gingen aber später weiter. Die Stadthalle ist eigentlich nur voll geworden, weil alle ihren Mr. Oddjob sehen wollten. Den kleinen unscheinbaren Zettel an der Abendkasse mit dem wörtlichen Hinweis: "Togo leider verunglückt ersäzt leider durch den Ex-Weltmeister der Riese Frank Vallois", bemerkte offenbar keiner. Ghenassia murmelte in gebrochenem Deutsch: "Togo wurde verunglückt". Noch hielt man sich seitens der Zuschauer bedeckt und schenkte dem keine Beachtung. Die Emotionen kochten erst über - wie bereits erwähnt - als Sakata nicht erschien. Im Publikum saß ein Freund von IBV-Veranstalter Gustl Kaiser namens Hans von Jankowski (IBV-Kampfleiter). Der IBV hatte Jankowski nach dieser Show entsendet, um die franz. Veranstalter Ghenassia und Sellet genauer zu beobachten. Jankowski nahm die Catcher und den Verlauf genauestes unter die Lupe. Am nächsten Tag schrieb er einen Brief an Gustl Kaiser nach Krefeld, in dem er die Show ausführlich skizzierte.

[Bild: http://www.imgimg.de/uploads/98226fb149jpg.jpg]
Harold Sakata, genannt "Tosh Togo" oder "Mr. Oddjob", brachte den späteren Nationalhelden von Japan Rikidozan 1951 ins Wrestling. Sakata war zusammen mit Hawaii Promoter Alexander Karasick, einer der wichtigsten Hintermänner zu Beginn der Rikidozan Ära in Japan.

Jankowski hatte demnach schon früh Unregelmäßigkeiten festgestellt. Er schrieb: "Ich ließ mich dann von dem Clubmanager in die Stadthalle fahren und machte mich bekannt. Es sind Franzosen, Ghenassia und Sellet. Sie bauten gerade den Kampfring, besser gesagt die Ringseile auf der Bühne auf. Kurzes vortastendes Gespräch und dann die Feststellung, daß Oddjob doch nicht kommt. Man bedauert, daß man von meiner Anwesenheit nichts gewußt hat, denn man hätte doch ganz gerne mich, als Heidelberger, mit verpflichten können. [...] Die Erwartung war hoch geschraubt. Alles wollte Oddjob sehen. Der Kampfring (flach) auf der Bühne war schlecht ausgeleuchtet. Die Ringseile hingen schlaff zwischen den Pfosten. Die Umwicklung der Seile hing zum Teil herunter. Ein mieser Anblick. Keine Musik, keine Parade. Schlechte Ansage und Bekanntgabe der Namen."

Die Manager versuchten Sakatas Fehlen herunterzuspielen. Doch der Skandal weitete sich aus, da Gustl Kaiser von dem Treiben in Heidelberg durch Jankowskis Brief erfuhr. Was war aus Sakata geworden? Er stand schon seit dem 03. Juni unter Vertrag bei Kaiser. Dieser setzte ihn für den Krefelder "Preis der Nationen" ein. Am 08.06.1965, also da wo Sakata in Heidelberg hätte kämpfen sollen, bestritt er in der Krefelder Rheinlandhalle einen Kampf gegen Europameister Horst Hoffmann. Kaiser verpflichtete Sakata dann ab dem 11. Juni für die "Europameisterschaft 1965" im Kölner Eisstadion. Ein Telefongespräch zwischen Kaiser und dem "Heidelberger Tageblatt" am 09. Juni brachte Aufklärung. Sakata stünde nach wie vor in Krefeld und ab 11. Juni in Köln unter Vertrag des IBV Hamburg. Sakata versicherte Kaiser, dass er die beiden merkwürdigen Veranstalter kannte. Sie hätten ihm eine Deutschland-Tournee versprochen. Zu einem Vertrag ist es laut Kaiser jedoch nie gekommen. Damit war offensichtlich geworden, dass die Heidelberger Catch-Fans von zwei findigen Managern getäuscht worden sind.

Nach der Veranstaltung wurde Ghenassia zur Rede gestellt. Wütende Catch-Fans verlangten eine Erklärung. Er habe den Vertrag mit Sakata hier und könne ihn sofort vorzeigen, murmelte Ghenassia. Es sei sogar eine Gage von 2000 DM pro Abend vereinbart worden. Natürlich wollten sie das Dokument sehen. Die Show war aber vorbei und das Geld in der Kasse. Ghenassia und Sellet nutzten die Gunst der Stunde und machten sich vom Acker. Die Heidelberger Catch-Show sprach sich herum. Die nächsten Veranstaltungen in Zweibrücken und Saarbrücken waren genauso "geplant" worden. 800 Zuschauer warteten am 09.06.1965 vergebens in der Westpfalzhalle von Zweibrücken auf Sakata. Die Pariser Agentur gab aber nicht mehr an, dass er verunglückt sei. Die Machenschaften sind aufgeflogen, und in Saarbrücken schaltete sich sogar die Polizei nach einer Betrugsanzeige ein. Trotzdem war in Saarbrücken selbst am Tage der Veranstaltung nichts genaueres bekannt. Die Werbung für Sakata hing immer noch. Die Heidelberger Catch-Fans sahen ihr Geld nicht wieder. Ghenassia hatte rechtzeitig vor der Show einen Hinweis auf einen Zettel geschrieben. Man bezahlte und bekam ein paar, wenn auch mittelmäßige, Kämpfe präsentiert. Beschwerden blieben erfolglos, da Sakata durch Frank Valois ersetzt wurde. Aber wäre das vorher bekannt gegeben worden, dann hätte die Stadthalle keine 1300 Besucher gehabt. Mit der Werbung lohnte sich das Geschäft durchaus.

Gustl Kaiser bezeichnete solche Veranstalter als "Hasardeure". Generell gab es im Berufsringerlager auch in den 60er Jahren eine strikte Trennung zwischen "Freistil-Berufsringkämpfern" und "Catchern". Die Ringer im Hamburger IBV wollten nicht "Catcher" genannt werden. Sie kämpften zwar nach gelockerten Freistil-Regeln, traten aber ausschließlich in sog. "Internationalen Berufsringkampf Turnieren" an. Diese Turniere standen unter Aufsicht des IBV, der eine eigene Satzung hatte. Kaiser war durchaus kein 100%iger Catch-Gegner. Er bezog ja selbst Ringer, die einmal Catcher waren oder danach welche wurden. Mit der Bezeichnung "Catchen" konnte er sich dennoch nie wirklich anfreunden.
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#10
Nun diese Praktiken mit Akteure werben die dann, überraschenderweise, nicht auftauchen gibt es ja bis heute und waren auch damals nichts neues. Ein gefundens Fressen für diese Machenschaften war "Le Angle Blanc" (der weisse Engel). Ein ganz in weiß auftretender Ringer (mit Maske) der in Frankreich einer der größten Stars war und für volle Häuser garantierte. Orginal steckte F. Pino~ (ein Spanier) dahinter. Doch plötzlich gab es in jedem Dorf bei jedem kleinen Veranstalter einen "weißen Engel" und jeder berufte sich natürlich darauf das Orginal zu bieten. Überall wurde er, oft nur wenige Kilometer entfernt, auf Plakaten (für verschiedene Shows) angekündigt. Schlussendlich wurde dies eigentlich sehr gute Idee zu Tode runiert.


D.S.K.
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